Die Kunst baut überall eine Heimat. Die steigt anschließend im Preis. Dann darf die Kunst woanders weiterbauen.

“Ein Kulturspaziergang”, “Ein Erlebnis”. So oder ähnlich bewerben hierzulande die Kulturverwerter™ und Standortprofilschärfer gerne Aktionen der standardmäßig als “die Kreativen” oder “Kreative Szene” betitelten Protagonisten der Stadt: lange Nachmittage, vorzugsweise gegen Wochenende hin, an denen “ihr” Stadtteil in aller wohnlichen/ inspirativen Atmosphäre erstrahlt. Introtenor: “Dutzende von Künstlern und Musikschaffenden öffnen ihre Ateliers, Studios und Hinterhöfe, damit…”..die brennend interessierten Immobilienmakler/Investorenagenten kostenlos und unauffällig das schön Hergerichtete in Augenschein nehmen können, ein paar unbezahlbare Innenhofbilder mit grandiosen, blumenbekränzten Balkonatmos, zünftig-rustikal dekorierten Bierbankgarnituren und/oder selbstgemachten Exponaten mit gutgelaunten Menschen darum aufnehmen können. Und den Fang anschließend neu bewerten/raten: mit diesen wohlfeilen Fotos/Infos wird dann ein neues Ziel ins Visier genommen.

Denn Gemütlichkeit, Einzigartigkeit und Attraktivität in der Ausformung des persönlichen Lebensraumes als Antwort auf ein verständliches Begehren, irgendwo zu wohnen, wo man auch im besten Sinne leben will, schaffen hier Menschen, die dafür einen Sinn haben. Einen Sinn, aus einem gesichtslosen, technischen Irgendwo einen Ort zu machen, eine Lokation zu zaubern, einen Treffpunkt, an dem erstrebte Existenz  – meistens nach Feierabend – stattfindet. Das geht am idealsten im Privaten, Unkommerziellen. Denn an unsere Arbeit stellen wir ja anders geartete Anforderungen, sie findet nach wie vor ja auch anderswo statt: in den Bürocontainern oder -hochhäusern, Fabriken, Shopping Malls oder, modern: im Großmarkt oder Fulfillment-Center auf der grünen Wiese, umtost von Informations-, Anforderungs- und E-Mail-Flut.

Und den vorgefertigten (Geschmacks)Standard der Industrielandbewohnermarken möchten wir in dieser Sendestärke bitte nicht auch noch zum Feierabend haben. Da bitte mehr Eigenes, Unverwechselbares.

Diese Art der “Lebensraumerschließung” ist ja nicht per se abzulehnen, ich frage mich allerdings angesichts der nicht abflauenden Gentrifizierungsdebattenkämpfe, die ohnmächtig in den betroffenen Stadtteilen toben, ob die “Kreativen”sich DIESES DIREKTEN Zusammenhangs bewußt sind.

Schauen wir in den unbeteiligten, lediglich “berichtenden” Mannheimer Morgen vom 20.07.2012 :

Vier Treppen hochging es zur vietnamesischen Fotokünstlerin Lys: Ihr kleines Wohnatelier hielt tapfer dem Besucheransturm Stand. Alexa G., die einen der kreativen “Lili Hüte” spazieren trug, schwärmte: “So viele Künstler wie hier gibt es in keinem anderen Stadtteil von Mannheim, dazu die schönen alten Häuser, das ist eine Atmosphäre, einfach wunderschön”.

Alte Häuser und neu erzeugte Atmosphäre: kann und darf da Kunst und Kreativitätsdrang weiterhin nur verschönern bezaubern und Besucher in schwammigen Sinn “inspirieren”, wenn sich die Künstler/Schöpfer dieser ihrer für angelockte Dritte nützlichen Idiotie gewahr werden? Sich plötzlich des Zynismus´ bewußt werden, den der Begriff  “Kulturverwertung” auch besetzen kann? Jäh verstehen, wie Aufwertung ihres Lebensraumes von Immobilien, damit zusammenhängende märchenhafte Gewinnmargen und ihre eigene unschuldige Lust an der Kreation, am Schönmachen und Neues kreieren zusammenhängen? Muß die Kunst nicht genau da drauf reagieren? Und politisch werden?

Damit im Zusammenhang: Sein Lieblingscafé im Internet loben – DARF MAN DAS?  – oder die etwas andere Sicht auf diese Dinge bietet der immobilien-kompass.capital.de

Bis ich das alte Tagesabreißkalenderblatt wiedergefunden hab, von dem der Anfang der heutigen Überschrift stammt, hab ich als Ersatz das da in memoriam gebastelt:die_kunst_baut_ueberall_1

Spannend, sich mal vorzustellen, wie der gute Alte das wohl gemeint haben mag, denn damals gabs noch nicht, was in “meine” Bedeutung hier&heute mit einfließt: Industrialisierung, elektronische Medien, Investorengruppen, Marketingexperten, Individualismus, Gentrifizierung, Turbokapitalismus und last b.n. least: die Fotografie..

_________________________________________________________________________

Musik beim Schreiben heute:

Kimbra: “Vows”, Warner, 2012

Hamel: “Nobody´s Tune”, Dox Records, 2009

Randy Newman: “Little Criminals”, Warner, 1977

Terence Trent d´Arby: “Introducing The Hardline According To..”,  CBS, 1987