Monthly Archives: June 2016

Der Becher im Poodle

..im Sinne von “der Texter in Dir“. Denn wenn hier in Deutschland irgend jemand Industrie Fotografie Klassiker, dann die Bechers. Fünfzig Jahre Kieswerke und Wassertürme rauf und runter.  Da wollt ich ebenfalls mal ran – ein paar zum Beispiel Wassertürme gibts ja auch in Mannheim. Und ein eiserner “Wok” mit blühendem Vordergrund – mal was anderes ;-) Hing bis Anfang Juli gar in groß in Eurer dem Kunsthallenneubau nächstgelegenen local gallery:25990022Denntheader26230021gehörte  für mich ehemaliges Landei fotografisch schon immer zu den Mannheimer Attraktionen. Auch wenn der am Schwinden ist – man bemerkt es indirekt an den zunehmend als stärker wahrnehmbar werdenden “erinnernden” Tätigkeiten zum Beispiel des Industriekultur Vereins , der facebookseiten des Herrn Boenisch oder des Herrn Katsnelson – gibt es noch genug Gelegenheiten, bei Interesse was anderes als geleckte Hallenfronten oder schlichte, 3m hohe  Sichtschutzzäune zu besichtigen. reingretchen-c075-83790014_tnContainerterminals als geschichtliches Zwischending stehen ebenfalls ausreichend zur Verfügung..Ich – das muß ich natürlich gleich dazusagen – habe beileibe keine enzyklopädischen Aspirationen wie die großen Vorbilder, dafür weisen meine Interessen zur Zeit in eher entgegengesetzte Richtungen oder landen unkategorisiert auf selbstgefertigten Krimi-Covern, aber historische “Fertigungsstätten” und “genietete Infrastruktur auf Backsteinbasis” fotografiere ich wie alle hier auch gerne.Hat auch was mit Postindustrialismus, dem heranstürmenden dritten digitalen Zeitalter & Prosumerismus zu tun und der dafür typischen steampunkigen Sehnsucht nach dieser rührend durchschaubaren/anschaulichen Mechanik des ausgehenden 19. Jahrhunderts…

Industriekultur fotografieren macht irgendwie so ein merkwürdig wohliges Gefühl. Ein Gefühl, daß man irgendwoher stammt, eine Geschichte hat. Eine, die mehr ist als ein Browserverlauf.

Am liebsten durchsetzt mit Kontrasten aus Natur und, äh, insulärer Idylle:

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In dieser Mischung ist Mannheim Chef.

Ebenfalls lohnenswertes Ziel von Fototouren: das moderne Pendant zu Industrie-denkmälern: Großbaustellen, die sich über Jahre ziehen. Fotos davon waren schon immer  meine www-Titelbilder, hab ich doch zum Beispiel jahrelang welche vom entstehenden Block 9 des GKMs gemacht. Da waren manch beeindruckende Schauwerte drin:

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Und dann dieser wunderbare, zu Zeiten stimmungsvoll beigefarbene Himmel, dem ich gar eine eigene 10er-Serie meiner Mannheimpostkarten widme (3 gibts schon) – gerne mit Dunst, Qualm und atmosphärischer Fernenbläue  – denn auch Luft als Motiv hat was ;-) :

Dann natürlich auch Fluß, Bahnhofsgelände(r), Brücken, Hafen, …. Hier am Blog nun meine Favoriten bislang, zum Teil kaum zehn Jahre alt und schon historisch, denn: es “wurde umgebaut” (oder umgespritzt) – nicht nur meine Webseitenversionen seither, sondern auch in realo:

Mannheim(er)kenner vortreten!

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Zum Ausklang (?) des verlängerten Frühling 2016 harhar hingen nun diese zwei Bilder im Fenster von theuer + scherr, direkt auf die Augustaanlage raus. Arndt hat diese beiden Fotos in einem gemailten Archivsnippet entdeckt und als “Neckarauer Bub” sofort heimatliche Gefühle bekommen.

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Und das Bechersche “Original” vom Jahr 1978 hab ich gar im Hinterher im Netz/in NYC entdeckt auf www.brucesilverstein.com/artists/bernd-and-hilla-becher/5

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Musik beim Schreiben heute:

Musica Sequenza: Sampling Baroque/Handel, SONY, 2016

Just Jack: “Overtones”,  Mercury Records, 2006

Möge der Texter in Dir mit Dir sein – Prolog zum Interview

Interviews sind die perfekte Erfindung, um Neugierde an einer Person und die uralte menschliche weiterbildende Vorliebe für Geschichten, aber auch für Traatsch und Klaatsch zu befriedigen.

Aber Obacht: Interviews sind auch eine Kunstform.

Kunst, wie von-Können-kommen. Denn wie oft spürt man beim Lesen nur die wohlige Nähe der Beteiligten zum Ruhm zur Möglichkeit, Beachtung zu finden durch, während sowohl Fragen als auch Antworten wie trocken Häcksel schmecken. Oder schlimmer & superschnöd´: nach kaum verhüllten Werbemaßnahmen.    Igittigitt.ntr-scanp-160605-355d-recol

Keine Parodie dieses Sujets sind meine mittlerweile mehrfach erprobten Selbstinterviews. Im großen Stil (bildschirmseitenanzahlmäßig puuh), versuche ich gerade, eine dritte Annäherung an (m)ein Ideal. Interessant, unterhaltend und mit mehr Ensichten bestückt, die Außenstehende fragend gar nicht entdecken würden soll es geraten. Sag ich mal einfach so.  Ok,  im Alleingang, das ist eigentlich unkorrekt. Aber gegen den dafür well-proofed Inhalt sollte nix einzuwenden sein – der ist ja echt ;-) Und im Trend ist dieses Allesselbermachen auch, sagen die Großen, die warten, bis jemand auffällig viele follower hat, um dann zur Ernte zu schreiten…

Warum also hier Selbstinterviews?

Beweggrund #1:   mein Unmut als User

Bilder, Gemälde oder Fotos mir interessant scheinender Kreativer sind im Web 2.0 quasi auf Zuruf verfügbar. Je bekannter, auf desto zahlreicheren Webseiten, Blogs und Magazines finden sie sich, oft in entweder erstaunlicher Deckungsgleiche oder ebenso überraschender Vielfalt ohne Schnittmenge. Könnte gut am Mitwirken etwaiger Publizisten/PR-Abteilungen liegen. Oder am Phänomen “Klickvieh”.

Wenn man jedoch ein Künstler”Statement”, also einen “hauseigenen”,  “werkseitigen” Kommmentar lesen, sehen oder hören will, ist oft gewaltig Réschersché angesagt. Das hängt meiner Meinung nach damit zusammen, daß sehr wenige Künstler, Fotografen oder gar Maler einen Drang zur “sprachgestützten” Selbstdarstellung haben, ja gerade stellvertretend für Rethorik genau “das andere” produzieren, nämlich: ihre Bilder. Abteilung: “Wenn ich es benennen könnte, müßte ich es nicht tanzen.”ntr-scanp-160529-349e-r2vrePositiv dazu kommt, daß bei einem Interview, speziell für eine Galerie-Vernissage oder durch einen Journalisten dieser handfeste, “expertisielle” Fragestellungsblick von außen verhindert, daß sich der Künstler in einen Autismus verheddert, die Fragen von außen ihm also den Tellerrand überqueren helfen.

Was mich immer aufs neue fasziniert, ist, daß die Interviewten die im Interview gewonnen Erkenntnisse nicht auf ihrer Webseite weiterveröffentlichen. Und so – hey! –  selbstbestimmt das Bild, das sie angenommenerweise mit ihrer Präsenz erzielen wollen um diese wertvollen Informationen erweitern. (man glaubt das ja manchmal nicht angesichts kryptischer Klickbedingungen Richtung “Portfolio”). “Faulheit, Unterschätzung oder gar Ignoranz?” denke ich immer, wenn ich “von anderswo her” freudige Erkenntnis und Aha-Erlebnisse habe. Könnte aber auch daran liegen, daß die Interview-Macher&Bezahler das eigene Gequatsche nur gegen Aufpreis rausrücken. WTF??

Die Medaillenrückseite: wenn zwei Menschen sich dem offiziellen Interview widmen, sind mir da oft leider/zuviele Dritte gedanklich auch noch beteiligt:

  • die Auftraggeber, die ein erfolgreiches, postivies, Lead-generierendes Ergebnis erwarten,
  • der Schreiber&Frager, der mangels anderer erkennbarer Skills zumindest mit korrektem Deutsch glänzen will,
  • der Künstler, der sich irgendwann hat überreden/überzeugen lassen, daß Interviews immer gut für die Publicity sein sollen sind.
  • Wenn noch andere Faktoren Spannendes verhindern – gar der Anstand? – führt mir das Ergebnis dieser explosiven Mischung Intim/Medien doch allzu oft in Langeweile oder ins rein sensationsfixierte Off.

Wie lese ich doch selbsterkenntnisschwer im Interview mit dem Chef-der-100-Fragen: “dass jede Frage, die eigentlich mehr sagt als „alles okay bei dir?“, im Grunde eine Unverschämtheit ist.

Das Interview als wirkungsvolle, aber fragwürdige Erfindung der Medienwelt also.

Dieses ganze Personal spare ich mehrfach vorteilhaft ein, denn nun kann ich frei von der Leber weg ein interview-feindliches Genre untermischen: Direktheit aus Interesse am Kern,  abseits von sich personell überkreuzenden strategischen Rücksichtnahmen, und gelange direkt zum

Beweggrund #2: Faszination

Die Überraschung, die Erstaunlichkeit der Fragen, ebenso die der darauf gegebenen Antworten. Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit. SO. lernt. man. die. Welt. kennen. Ausrufezeichen.

Erste frühe Begegnung mit dieser türöffnenden Sprachpotenz: meine erste WG, wo´s in Diskussionen um die notorische Unaufgeräumtheit und die damit verbundene Unlust und den dahinterstehenden Anstand und die als “allgemein” betitelte Anforderungen ging: “Null Bock IST ein Argument.” Das kannte ich von zuhause nicht ;-)

Beweggrund #3: Wortspielfreude

Falschschreibungen, Wortcréationen, Wörterschlangenbildendürfen und multiple Mehrsprachigkeit, in einem Satz direkt hintereinander! …“ zwar elliptisch bis hin zur Ungrammatizität, aber gleichwohl jedem verständlich”- Hey – genau das isses, was mir beim Schreiben Spaß macht!! Bislang unmöglich, das in einem amtlichen Interview zu finden. (..) Und nun ratet mal, wo ich diese Stelle gefunden hab…

Zudem ist solche sprachliche Schrulligkeit super als Test geeignet, a certain kinda kindred spirit andocken zu lassen. Also nix von wegen “der Köder muß dem Fisch schmecken, nicht dem Angler”. Dagegen halte ich die Erkenntnis: “If you are bored writing it, your readers will be bored reading it”.start-ntr-356g-re4v2 die SerenDips des Tages:

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Musik beim Schreiben und Prolongieren heute:

Joanna Newsom: “Ys”, Drag City Inc, 2006  + Video: “Sapokanikan”

London Elektricity: “Pull The Plug”, Hospital, 1999

Beim Nachschneiden:

Rough Trade: “The Best Of – Birds Of A Feather”, 1981 High Romance Music

Tauf Nerv Zuck N

Kennt Ihr diese Filmszenen aus alten Schwarzweißstummfilmen, in denen der immer weißbekittelte Doktor, meistens mit nach oben geschwungenen Schnurbartenden, runder Glubschaugennickelbrille und immer einer Hand auf dem Rücken sich hinunter beugt zum Patienten, der mit übereinandergeschlagenen Beinen vor ihm sitzt? Und dem dann mit diesem medizinischen Inspirations Perkussionshammer einen leichten Kniepocher verpaßt, so daß das obere Bein unterschenkelseits hochschnellt?Nein? Mit dieser Beschreibung habt Ihr dann aber immerhin ein ziemlich treffendes Bild davon, was passiert mit meinem “Taufnerv”, wenn ein neues pinxographisches Bild angeflogen kommt. Da durchzuckt mich ab und an ein Titel, den dieses abstrakte Bild dann einfach haben muß.

Denn so ein passender Titel ist wie der Ton zum Bild, der den Kinofilm erst zu einem Ganzen macht. Was ein Titel zu einem abstrakten Gemälde ausmachen kann, hab ich von Martin Kippenberger (deutscher Künstler, 1953 – 1997) gelernt: alles wird anders. Alles rückt direkt ins Leben der Betrachter, bekommt einen Bezug zum Jetzt und hier.

Ergo hab ich da einen Ordner aufgemacht, in den ich spontan angeflogene Titel für Bilder reinspeichere. Beschriftung obenauf. Geht freihendig/unaufwändig mit dem Windows-Screenshot-Tool. Das hatn Stift. Aber fragt mich über diese Titel bitte nicht, w.o.h.e.r. angeflogen – ich halte da nicht so die Ordnung in meinem Unterbewußtsein*:

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Das knallrote kriegt diesen merkwürdigen Instant-Titel als Reminiszenz an meine (Seh-)Erfahrung als Tonträgerhändler: ein klassisches Cover von oops 1977, ein Album von Weltruhm. Abteilung Rock, Schweiß und Sauerstoffzelt… Und? Jemand ne Idee? Jemand damals schon auf gewesen ?

Ahem so: offiziellatin heißt obiger Nerv… ist ein Arzt unter den Anwesenden?

* Nachtrag zur nicht ganz unbewußten “Herkunft” der Bildelemente: im “Kinderzimmer” findet sich das Eurozeichen als lila grob-knuffiges Spieltier rücklings unten am Rand. Beim Zeichnen hab ich das aber noch nicht gewußt – erst mit den drüber in der Luft fliegenden beiden Plüschtierähnlichen ergab sich der Sinnzusammenhang, der dann straight ins Kinderzimmer führte. “Hä??” werdet Ihr sagen – “Währungssymbole zum Liebhaben für die Kleinen?” Na logo, läuft unter “Früherziehung” …

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Musik beim Schreiben und Taufen:

Karma: “Thrillseekers”, Spectrum Works, 1999

Arrested Development: “3 Years, etc.”, Crysalis, 1992