Monthly Archives: August 2015

Fahrigkeit im Bild* oder: das Zeichnen als Gestikulieren sehen

Man kann nicht nur täglich üben, eine vielsagende Kurve oder elegant präzise Schraffur, auch gegen anatomische Disposition(= gegen den Strich) zu perfektionieren. Man kann zur  gegenteiligen Abwechslung mal erstaunt sein darüber, daß man mit etwas willentlicher Unterstützung (=Absicht) einfach zulassen kann, daß tatterig und offenscheinlich planlos, gar mit einem Anflug von Zittrigkeit/geistiger Abwesenheit Neues entsteht. Das klappt frühlich morgens am besten, ich berichtete ;-)

Meine erstaunliche Erfahrung dabei nach mittlerweile 15 Quadratmeter (!) vollgekritzelter Fläche seit Mitte Juli: eine “Spur” entsteht so auf dem Papier, die eben so sehr charakteristisch ist wie..hey! – eine Geste, eine Körpersprache, ein Bewegungsmodus. Die sich als “Stil” auf dem Papier niederschlägt und.. highly wiedererkennbar ist.

Bemerkt man diesen Zusammenhang, kann man das Zeichnen &  Malen, als Art KörpersprachenNiederschlag sehen.

Und die ganze Sache somit nicht mehr motivistisch, sondern gestisch angehen. Also einen im deutschen Wiki bemerkenswert ungenannten Teil des Prinzips “Action Painting” im kleinen DIN-Rahmen ;-) in seine Tätigkeit als Rezept zur Bild- und Gestaltgewinnung mit einbeziehen.

Beispiele:  wenn auch impulsiv mit Schwung gezeichnet, sind folgende drei Ausschnitte doch sehr gesteuert = zeichnerisch sozialisiert:

 ebk-scan-150806-62h  ebk-scan-150806-62d  ebk-scan-150805-61c

während diese nachfolgenden das heute Gemeinte darstellen:

ebk-scan-150725-45bfahrig  ebk-scan-150727-49  ebk-scan-150727-49-2 ebk-scan-150716-31fahrig  ebk-scan-150727-47efahrig ebk-scan-150727-47fahrig

Strichspuren, die mich in der “gelungensten” Form an..  Absichtslosigkeit erinnern. Also an Spuren von Tätigkeiten, die ohne Willen entstehen bzw. man erkennen kann, daß die Aufmerksamkeit des Verursachers anderen Dingen zugewendet war. Das probiere ich immer wieder gerne mit den Stiften: zum schönsten, einfachen Beispiel mehrere in der Faust bündeln und versuchen, mich auf die Beibehaltung dieser Bündelung zu konzentrieren. Während die Stiftspitzen auf dem Papier irgendwas machen. Das ergibt dann Folgendes:

ebk-scan-150708-17fahrigWie Wischspuren von ehemaligen Bäumen und Ästen an Außenwänden, die schon lange gekappt sind. Oder wieder freigeräumte Werkbänke nach Schul- oder Arbeitsschluß, Einpackflächen in Kaufhäusern, unbeachtete Ablageflächen von Zeitungen, Kleidung oder ähnlich Schnelldrehern. Jetzt, wo ich gerade die entstandenen Bilder durchgucke, ist klar zu bemerkennen, wo “zuviel” zeichnerische Wille am Werk war: zu akkurat die Linienführung, zu durchsichtig die schlampige Absicht ;-)   Das WAHRE Fahrige ist da schwieriger hinzukriegen..

Die Ergebnisse lassen sich dann sogleich zeichnerisch wiederholen, um noch breitere Inspiration zu erhalten. Ratet doch mal, welche Fgur hier unten die erste war ;-) :

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Ebenso spannend finde ich, nach Gehör und Musik der Stifte zu malen (ja, richtig gelesen): man wählt ein kurzes Riff, eine rhythmische Figur, die beim schnellen Malen einer ebenso kleinen Figur (Strich) entsteht. Und wegkonzentriert sich vom Papier auf die “ordnungsgemäßen” Geräusche beim Malen. Und kann dann staunen, was dabei herauskommt:

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Das mittlere profitiert vom “Rebound” der Stifte, eigentlich ein Phänomen aus dem Bereich Schlagzeug/Mallets.

Wenn man, wie ich, Umgang mit sehr vielen, sehr unterschiedlichen Menschen hat, kann man diese erlebte Vielfalt als Prinzip in die Bildgestaltung übernehmen. Schaut und fühlt doch mal, ob Ihr in folgenden Kritzeln so etwas wie einen bestimmten Menschentypus ausmachen könnt (die sind zuerst gezeichnet, danach erst kam die Idee):

ebk-scan-150724-44c_pers1 ebk-scan-150724-44c_pers2 ebk-scan-150724-44c_pers3 ebk-scan-150724-44c_pers4 ebk-scan-150724-44c_pers5 ebk-scan-150724-44_pers ebk-scan-150724-44_pers2 ebk-scan-150724-44_pers3 ebk-scan-150723-43f-pers

* Ich liebe diese leider wieder verschwundene Wiki-Unterüberschrift “Laugengebäck im Bild”, die ich mal beim zugehörigen Artikel entdeckt habe und verbaue/memorialisiere sie heute mal im Titel.

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Musik beim Schreiben heute:

Diego Figueiredo, Na Baixa do Sapateiro v.1

Marco Pereira – Na Baixa do Sapateiro – Festival Acordes do Rádio

The Bambi Molesters: “in: Sonic Bullets”, Dancing Bear, 2001

Was (Not Was): “Hello Dad.. I´m In Jail” Phonogram, 1992

Blur: “Parklife”, Food Records, 1994

die Grafen des Tages

Nicht, daß die Fotografie nun abgemeldet wäre auf dieser Seite. Nein, nein, sie ist da. Grad “erklickt” per Bildersuche auf www.lenscratch.com (1. & 3.) bzw. munchies.vice.com (2.):

  1. Fred Lyon (*1924) grandiose Retro-San Francisco-Fotos auf slate.com
  2. Michael Massaias interessanter Mix aus a) schwach beleuchteten, farbfreien Gegend- und Gefährten und b) gruselig-lustig bunt meltenden Eis und Kaugummis.
  3. Hunde ziehen Leuchtspuren auf dem Nachtgassigang mit JT Blatty und verwandeln Gewohntes in Neues.

Meine  Leuchtspuren des Tages indes sehen kameralos so aus:

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und schwarzweiß “Aufnahmen” hätte ich auch:

ebk-scan-150719-36b ebk-scan-150711-23eshifteds ebk-scan-150711-23ebw

Nur bei Fotos aus San Francisco der 40er-60er Jahre muß ich passen ;-)

Frühstücksfigur!

Man kann nicht sagen, wonach man sucht. Es muss das Überraschende sein. Es muss eine eigene Form haben, eine eigene Sprache, Notwendigkeit. Umgekehrt formuliert: Es dürfen keine Bilder sein, die man schon oft gelesen hat. Nichts, was zu naheliegend ist.

Das hab ich gestern  von der S. Fischer-Lektorin Petra Gropp im Netz gefunden. Und, obwohl es ihr da natürlich um (noch) unbekannte Literatur geht, ist diese “Eingangsbedingung” genau das, was ich zur Zeit mit meinen aufgegriffenen Buntstiften bildgeberisch anstelle. Wie diese große, grüne, luftige  “Frühstücksfigur” da rechts mittig, die mir heute morgen gelungen/herausgerutscht ist:ebk-scan-150803-59fruehsKeine zwei Sekunden und in dieser wohlgerundeten, vertrauenserweckenden Form so nicht wiederholbar – das kann mich als vom Ergebnis selbst erstaunten Schöpfer doppelt begeistern. Da muß man rechtzeitig stoppen, um die kühne Anfangsidee zu erhalten – lediglich zwei Segmente hab ich wegen des optimalen optischen Gewichts ausgemalt – fertig. Über so einen Wurf bin ich immer sehr erstaunt, um nicht zu sagen glücklich. Schließlich hat man schon mehrere Jahrzehnte Seh-Erfahrung hinter sich, und daß etwas Unbekanntes auftaucht, gar unter dem eigenen Stift, ist unbeschreiblich, ist unwahrscheinlich.

Wenn Ihr nun denkt: «naja, ein bißchen Kritzeln und das dann so hochloben ist ja äächt leicht übertrieben.»

Doch jedoch mir geht es da anders: da ist plötzlich etwas, was ich noch nie so (harmonisch oder  spannend in Komposition und/oder Farbe) gesehen habe. Und beim unscheinbaren “BuntStiftMalen” etwas Neues zu finden, finde ich großartig. Denn das kann man ja dann weiter interpretieren. Als “Hauptdarsteller” eines künftigen Gemäldes zum Beispiel. Wie eine Formel, die existent wird und das Schaffen der Zukunft beeinflußt. ebk-scan-150803-59frstfgSo geht es mir seit Wochen- immer wieder erstaunt mich die Unvorhersagbarkeit nach dem “Umdrehen” der Farben und Helligkeiten. Hier noch ein Beispiel von vorgestern:ebk-scan-150802-55cDas Ganze morgens, kaum ist man aus dem Bett, zu machen, ist wichtig: es geschehe mit dem noch schläfrigen Körper und einer dementsprechend  zerebral noch nicht vollständig motorisch kontrollierten Hand. Die macht stattdessen körpereigene Erinnerungsbewegungen, nur mäßig beeinflußt vom erwachenden Hirn. Das wiederum ist wohl noch wiederkäuend mit den jüngsten Input beschäftigt und erzeugt mit der manuellen “Automatik” das Unbekannte.

“Jüngster Input” bei mir: eine gestern erlebte Vision  von organisch “gedrehten” Zelten für Flüchtlinge , die auf dunklen Wegen zu dieser Form beigetragen haben mag – eine neue Herausforderung für Architekten in diesen Zeiten. Denn: “Designer und Architekten setzen sich mittlerweile nicht mehr nur mit der Formsprache ihrer Produkte auseinander, wie bei Bobby Kolade oder Van Bo Le-Mentzel sind auch die gesellschaftlichen Hintergründe relevant geworden.” Anscheinend wird nun endlich das Thema Upcycling, Selbermachen und ein Überdenken der altehrwürdigen Vernichtungsgewohnheiten wahrgenommen. (Vernichtung = consumare)

Hier noch ein Zoom-In auf die beiden winzigen “Gestalten” unten rechts, die ich auch interessant finde in ihrer unzureichenden Zurechnungsfähigkeit:

ebk-scan-150803-59bIrgend eine Mutation aus Eiskufe, Fleischerhaken und Hieroglyph, zackigesInitialen, das rechte Sechzigerjahre Raumkäpselchen, Spinnenelefant auf drei Beinen dafür mit Rüssel ohne Ohren sind mir wert, ans schwarze Brett im Flur gepinnt zu werden – da kommt sicher die nächstgrößere Idee angeflogen irgendwann!

Darüberhinaus gefunden: Tensegrity: Stäbe und Seile machen einen Raum. Hier: Fotos

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Musik beim Schreiben heute:

Thomas Fehlmann: “Gute Luft”, flow publishing/BMG, 2010