Die Zielsetzung, eine Stadt zu fotografieren, gebiert erwartungsgemäß eine Agenda: Kenntnis ihrer gewinnen, Kenntnis der schon vorhandenen, veröffentlichten Bilder, und, davon ausgehend: Entwicklung einer persönlichen Motivgewinnung, der fotografischen Annäherung und anschließende erfolgreiche Entscheidungsfindung. Mit dem Plan, Postkarten der Stadt, in der man lebt, zu machen, hat man oh Schreck das selbstgewählte Los an der Backe, daß jedes Bild für sich Einzelkämpfer sein muß.
Ganz im Gegensatz zu Serien in Galerien oder gar Fotos in gleichnamigen Büchern. Denn: verkaufen sollen sie sich, und niemand gibt auch nur 10 Cent für ein Bild aus, das nicht anspricht, also: nix taugt. Beide, Motivgewinnung und Entscheidungsfindung haben einen
gemeinsamen Berührungspunkt: den Übergang zwischen Tat und Idee.
Damit die fotografische Tat Sinn macht für mich, muß, als Vorbereitung gewissermaßen, Geschmack und Erfahrung vorhanden sein- das ist die meiste und unterschätzteste “Arbeit”, bevor man zur Kamera greifen und die Wohnung verlassen sollte. Also gilt: viele, viele, viele Bilder anschauen. Die müssen auch nicht mal direkt mit dem gewählten Thema zu tun haben.Es geht darum, Gutes selbst erkennen zu lernen.
Das Internet ist hierfür ideal geeignet. Jedweder Idee, Künstlernamen oder Stilrichtung kann augenblicklich nachgegangen und Anschauung hergestellt werden. Ich zum Beispiel bin momentan fasziniert von den Bildern in einem kürzlich erworbenen Buch namens “Orientalismus”. Da gibts Gemälde von Ingres, Prosper Marilhat oder Alberto Pasini drin, die mich ob ihrer Qualität, was Lichtführung, Realitätstreue oder Bildaufbau angeht – alles natürlich auch fotografisch anzustreben- völlig begeistern. Doch zurück zur Motivgewinnung/Entscheidungsfindung. Nachdem man lange genug um zum Beispiel das Wahrzeichen der Stadt (als Einsteiger zum Warmwerden) herumgesnoopt hat, mag man die zwei unten abgebildeten geometrischen Antipoden gefunden haben und nun, da die Motivgewinnung im ersten Schritt erledigt ist, sich nun mit Probeaufnahmen um die Verwirklichung des angestrebten Kartenmotivs kümmern. Wir hätten da heute drei exemplarische Kandidaten und versetzen uns zum Zwecke der Entscheidungsfindung an die Jury-Position Abteilung gnadenlos, aber gerecht. Nummer eins auf der C-Couch:
Ein dreifarbiger Abendhimmel, Gegenlicht, griffige Silhouetten- wunderbare Bauteile! Nur ist das Bildgleichgewicht leider nicht vorhanden- zugunsten der winzigen Figur, die nur Einheimische einordnen können unten links, wird auf die essentielle Balance im Gesamten- ob ausgewogen oder unter Spannung- komplett verzichtet.
Solch eine Himmelsfärbung ist, obwohl fotogen, leider schon zu sehr in die Klischeefalle eingebettet, so daß sie nur in extrem gut (wolken-)gestylten Fällen Verwendung finden sollte. Zudem ist der Helligkeitsübergang von links- hell nach rechts-dämmerig ebenso wie die Lage der Protagonisten geeignet, das grafische Ungleichgewicht zu verstärken:
der Kreis, eigentlich ein Rad von Künstlerhand, und das Stadtwahrzeichen Mannheims, der Turm, stehen im Bildrahmen unglücklich/unentschieden weit auseinander und zu weit rechts, wirken dadurch beziehungslos und etwas verloren, obwohl sich ihre Umrisse eigentlich sehr gut ergänzen. Aber: unregelmäßiger=störender Rad”stand”, überflüssige, das heißt, die Silhouetten störende Bäume und ein im Dunklen versinkender, halber Turm-
ein völliges No-Go. Also: out! Nächster Kandidat:
Andere Größenverhältnisse: das “kleinere” Rad wird nun durch perspektivische Verzerrung “aufgeblasen”- ein guter, da verwirrender Effekt- die realen Dimensionen beginnen, sich aufzulösen, dem Betrachter nicht mehr fassbar zu sein. Pluspunkt weiterhin:
beide Umrisse ergänzen sich nun mehr, erzeugen die angestrebte Balance, da sie auch vom optischen Gewicht und ihrer Lage zueinander in einer fotogeneren Beziehung stehen: der in der Luft schweben zu scheinende Turm in seiner Lage zum Rad auf seinem Sockel: ok. Auch sehr gut, da dramatisierend:
die Lichtüberstrahlungen im Innenkreis, ebenso das leuchtende Wasser der Fontäne. Das Pärchen addiert eine romantische Note, setzt (allerdings) auch den menschlichen Größenmaßstab ins Bild. Nun sind aber leider zu viele Elemente auf dem Rechteck des Bildes versammelt. Zudem gibt es einige störende Details, die auch dieses Bild wieder ausscheiden lassen:
Die Fontäne müßte vollständig lichtdurchflutet sein, die Wolkenzeichung könnte das Motiv besser unterstützen umrahmen, betonen. Was sie leider nicht macht. Schade, schade, aber: weg damit. Immerhin kann man, wenn man sich der “Lösung” schon recht nahe fühlt, diese Konstellation im Hinterkopf behalten. Vielleicht ergibt sich eines Tages die optimale Zusammenstellung:
der Himmel spielt mit, das Gegenlicht vergoldet zum Beispiel auch noch das Pärchen, oder gar unerwartete Blendenflecke eliminieren alles bislang Störende. Ja, ich weiß: Zeit für Regisseure, Beleuchter und die computergestütze Bilderzeugung. Und ade Postkartenfotografie, die ja per se realitätsnah sein muß.. Also wieder nix. Schlußendlich öffnete sich dank Klischeeüberdruß und daraus sich ergebender Experimentierfreude noch unverhofft die Tür mit der Aufschrift “out of focus”- eine also schon im Augenblick der fotografischen Aufzeichnung absichtlich unscharf gestellte Optik und brachte das Gewünschte: Zufriedenheit UND Rätselhaftigkeit auf einem Bild:
Turm und Rad sind wieder auseinandergerückt, beherrschen mit Himmelhell oben und ErdDunkel unten aber komplett das Bild in ausgewogener Beziehung. Details sind größenordnungs- oder helligkeitsmäßig zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft oder fügen sich unmerklich suggerierend in den Untergrund. Ein paar dunkle Wolkenschleier dazu- unsere Protagonisten wirken nun plötzlich, als seien sie in freier Natur, nur umgeben von Wald, Wetter und Feld, vielleicht in einem abgelegenen Skulpturengarten aufgestellt. Und nicht an einem der zentralen Plätze mitten in dieser 300.000 Einwohner Stadt, der für seine Jugendstilausführung bekannt ist.
Postskriptum: wie man an der Wetterlage erkennen kann, sind zur Motivgewinnung fast immer mehrere, zeitlich oft weit auseinanderliegende Aufnahmen vonnöten. Dieser Aufgabe sieht man sich IMMER gegenüber, wenn man ein bestimmtes Motiv in der Sammlung haben will. Aber es gibt natürlich auch Zufallsfunde. Darauf komme ich später zurück.
__________________________________________________________________________ Musik beim Schreiben heute:
Savvas Ysatis “select”, Tresor (EFA), 2001
Yukio Yokoyama: “Beethoven Bagatellen” Sony/BMG 2007