Hätte ich echt nicht gedacht. Daß diese beiden kleinen Gebrauchsgegenstände in einer solchen Grandezza darzustellen sind! Der eine, le Spatz mit Kronkorkenbügelschwanz, völlig aus der Mode, der andere, einfachst gefertigte “Rollen”hund zerkratzt, “bespielt” und durch diese Kombination kurz vor “schäbig”, sein Alter schwer einzuschätzen. Während wiederum beim anderen die Vorstellung schaudern macht, in welcher Art opulenten Kitsch er sich in “Original-Umgebung” befunden haben muß..Aber so fotografiert paßt alles: eine “Provenienz” suggerierende, sorgsam ausgesuchte und zusammengestellte Umgebung schafft das. Und die frisch aufgenommenen Fotos sind erst der Anfang – da scharrt nämlich schon die Postproduktion mit den Hufen und ärmelhochkrempelnde Experimentierlust juckt unter den Nägeln.. Wie-ha!Eine Fundusverkaufsgelegenheit am letzten August-Samstag ist mir Anlaß, es mal mit “Produktfotografie” zu versuchen. Denn ich habe beschlossen, einst lustvoll Erjagtes wieder in Umlauf zu bringen, nachdem es nun fast zwei Jahrzehnte – mein Fotoarchiv läßt eine überraschend genaue Datierung zu – in Kisten verbrachte. Die Gelegenheit, es einmal, weniger “marketechnisch” ausgedrückt, mit dem klassischen Stilleben zu versuchen.
Dabei bricht aus mir der Bastler hervor, der Experimentator, der Stauner über die Möglichkeiten, den erzielten Aufbau dann fotografisch weiter dadurch zu verfremden, indem man ihn aufnimmt, mithilfe der fotografischen Technk in etwas anderes, ein Bild, überführt. Damit nicht bloß eine Dimenson weg”läßt”, sondern so den einfachen Gegenständen, die dieses Ensemble bilden, die man zurechtgezupft, arrangiert, flachgezogen oder geknüllt hat, eine völlig neue optische “Bedeutung”, ja, nahezu eine Aura gibt.
Wenn es etwas gibt, was mich an dieser “Disziplin” fasziniert, dann das.
Und anbei: das ständige Ausschauhalten – und Ausschau-gehalten-haben- nach .. Requisiten? Ja: Requisiten, aber in einem weiteren, metatheatralischen Sinn gefaßt. Eher im Sinne von: Hintergrund-Baumaterialien. Dabei kommt schlichtweg alles in Frage, was Farbe, Textur, oder so etwas schwer zu Beschreibendes wie “Beleuchtungsvorzüge” hat. Im fertigen Bild gar nur ein prima Bokeh ergeben kann. Wie zum Beispiel impulsiv/intuitiv gesammelter Kaffesatz. Schaut mal, wie prima, irgendwie vertraut (aus Vampirfilmen?) und doch exotisch der sich bei diesem Foto der “öffnenden Hand” macht:
Wie oft beim Endlich-Selber-mal-machen ist der Lerneffekt deutlicher, emotional verankerter als beim Lernlesen und ich denke, von einer Binsenweisheit überrascht : Ist es nicht eigentlich IMMMER die “richtige”, passende Umgebung, die den Dingen zu ihrer eigentlichen Strahlkraft verhilft, eine Umgebung, die das Wesen der Einzeldinge hervortreten läßt, verstärkt, ihr Wirkungspotential offenbart?
Für die frisch wiederentdeckten Flohmarktfunde aus Kisten des eigenen Keller macht es Spaß, passende Umgebungen zu “bauen”. Einen Glücksfall kann man den Fund dieses Zeitungssausschnitts von Neunzehnhundertfünfunddreißig (!) bewerten, der perfekt in Farbe, Zerknitterung (das Ding war kinderfaustgroß in eine Papprolle geknüllt) und als “antiquarischer” Background fungiert. Nicht optimal wie bei diesem Bild als Startversuch unten,
dann aber später, nach einigem Umstellen als Unter- und leicht unscharf gehaltener Hintergrund des Hundes and more – siehe oben.
Wie die Vorfreude auf ein Puzzlespiel mit unbekannten, noch zu entdeckenden oder umzufunktionierenden Teilen ist mir diese besondere Art der Fotografischen Gestaltung: einen fotografischen Schatz, oder ne coole Idee gleich zu Anfang der Fotosession mit den Flohmarktsachen entdeckte ich schon beim Auspacken: die besondere Fotogenität in altvergilbte Zeitungen rundgewickelter Trinkgläser. Dieses Motiv und seine Möglichkeiten sind bei Weitem noch nicht ausgelotet.
Ja, ja, Allgemeinplatz: man kann im selbstgemachten Studio alle Parameter selbst bestimmen. Das wiederum bedeutet für den Fotograf eine völlig andere Situation, verglichen zur Motivjagd im Freien. Nur die Fantastie und eventuell nicht vorhandene, doch imaginierte Requisiten setzen Grenzen. In diesem Fall die Herausforderung, alte Hintergrundstücke zu alten Protagonisten zu finden. Niemals zum Beispiel hätte ein frisch gewischter, makellos neuer Untergrund den Vintage-Faktor dieses Glases mitverstärkt wie hier:
Oder altes Seidenpapier, das mit digital erzeugten, halb transparenten Passepartout dem gläsernen Handtuchhalter zu einem, wie schreibt man so schön klischeehaft wirkungsvollen Auftritt verhilft. Und der Glasstab gleichzeitig einen interessanten himmelsblau-schluckend “Schatten” wirft:
Oder man hat das Glück, irgendwann auf dem Flohmarkt Tapetenreste zu finden. Auch wenn die kaum fürs “kleinste Zimmer des Hauses” ausreichen, empfehle ich allen fotobegeisterten Studiofreaks/Nerds dennoch dringend die Anschaffung:
Ebensowenig sollte man an ungewaschenen Baumwolltaschen aus den Achtzigern (?) vorübergehen. Vor allem, wenn es im Fundus schon “Party-Gabeln, Qualitäts-Stahlware” aus den, ich würde sagen Sechzigern gibt:
Aber es müssen nicht nur betagte Hintergrundmaterialien herhalten. Eines meiner bevorzugten Mittel zur “modernen” optischen Aufputzung ist und bleibt seit diesem Postkartengaleriebild von 2010 die Blisterfolie:
Gegen das Licht aufgenommen immer wieder eine optische Freude: geordnete Struktur und und unregelmäßiger Patina-Effekt gleichzeitig. Im Unscharfen organische Wirkung. Und gleichzeitig Maßstab, um die “Lebensgröße” der Porträtierten wie oben bei dem “Streichholzbriefchen” mit Gitarrenplektren einzuschätzen.
Eine “schmackhaft” gemachte Produkt Stillebenfotografie ist AUCH ein Geschmacksbilder, ein Serviervorschlag..
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Musik beim Schreiben heute:
Jim Kahr: “Back To Chicago”, Acoustic Music Records, 1992
Dr. John: “Television”, GRP Records, 1994
Van Morrison: “Days Like This”, Polydor, 1995