Intro/Interview generale

Hallo, el Berndo. Mit diesem Projekt mal leichthin die gesamte Karriere eines Musikers und sein Lebenswerk von 10 CDs so hinzuwerfen- ist das nicht ein bißchen überzogen? Viele Musiker, die ein langes Leben tätig sind, schaffen nicht mal EINE eigene CD.

Charakterschutz entspringt ganz klar der Sichtweise eines Händlers, nicht der eines Musikers.
Händler sind, wie Käufer, Musik-, generalisierender gesagt, Kulturkonsumenten, keine Kulturschaffenden und haben meiner Meinung nach keine Vorstellung vom tatsächlichen Aufwand, den eine CD Produktion mit sich bringt. Geschweige denn eine Idee vom ideellen und zeitlichen Kontinuum, in dem man sich als Musiker bewegt. Sie räumen die Regale ein und sehen dabei nur, daß die meisten gutgehenden Karrieren im Schnitt so eine CD pro Jahr "liefern".
Gefühlsmäßig kommen die meisten Händler, die ich kenne, durch ihre kindlich-begeisterungswillige Mentalität zu ihrem Beruf, sind voll vorweihnachtlicher Erwartung, wenn eine Neue angekündigt kommt, und befassen sich dann ernsthaft mit dem emotional-musikalischen Gebrauchswert des Tonträgers, wenn es dann soweit ist. Sie beurteilen Musik rein durch die Augen des Fans, eines allerdings sehr kritischen Fans, der berufsbedingt sehr viele Vergleichs- und Qualitätskriterien zur Hand hat. Gleichzeitig erleben sie durch hohe oder geringe Abverkaufszahlen die Rezipienz der breiten Käufermasse, was wiederum ihr Urteil, falls sie nicht zu versessen auf eine einzelne Band sind, doch sehr, ich will mal sagen: ergänzt.

 
Wie hast Du Dich dem Konkreten angenähert und, was war die erste Idee?

die erste Idee stammt aus dem allgemein erfahrbaren Bereich, wie jede/r, die/der Musik liebt, mir bestätigen kann:
Es geht um diese Beglückung, die durch das bloße Anhören guter Musik entstehen kann.
Von genau diesem Faszinationsrausch durch Musik bin ich ausgegangen. Ihn beim Publikum zu erreichen, würde ich als DAS Ziel eines sich nach außen öffnenden Musikers bezeichnen.
Der nächste, entscheidende Unterschied zum Profi aber war dann, nicht impulsiv zur Gitarre zu greifen und "hinzugehen und desgleichen zu tun" oder eher: zu versuchen, sondern meine Erfahrung als Verkäufer von Musik diesem voran zu stellen.

Und die wäre?

Die Wirkung über die Ursache zu stellen. Das konkrete Ergebnis immer als letzte Instanz und Daseinsberechtigung zu postulieren.
Damit meine ich, bei der Erschaffung neuer Klänge/Musik nie den Bereich der Faszination zu verlassen, mit einem Bein immer im Himmel der Beglückung, Inspiration zu stehen. Und von dort immer das schon Entstandene zu beurteilen.

 
Das klingt ja schrecklich technisch, überkontrollierend und die Kreativität bremsend...

Das Gegenteil ist gemeint: keine Vorfreude auf die Musik soll durch verfrühte Realisierung Schaden nehmen. Die Ungeduld der Musiker, jetzt endlich wieder Klang zu erzeugen, empfinde ich als Händler oft als Vernichter der wahren Ideen. Also warte ich in froher Erwartung geduldig um das kleine Feuer, das der bloße Titel und all die ungeahnten, faszinierend unbekannten Ahnungen um den frisch entstandenen Titel entstehen ließen, bis die nächste gute Idee in Richung Konkret sich dazu einstellt.

Anscheinend gibt es für Dich da so etwas wie eine Fluchtgefahr des Faszinierenden.

Unbedingt (lacht). Die betäubenden Mittelmäßigkeiten, die Plagiat- und Klischeemassen, durch die man sich als Musikhändler durchmacht so den lieben langen Tag, sind der monumentale Beweis dafür.
Diese Gefahr entstammt meiner Erfahrung nach unmittelbar den Gesetzmäßigkeiten des (modernen) Musiker-lebens:
Es gibt da das Instrument oder die Stimme, die im täglichen Fokus stehen. Es wird stetig daran geübt, sich verbessert, Vorbildern nachgeeifert und dann kommt irgendwann der Schliff von Lehrern dazu.
Da ja der Klang dieses Instruments, wird er musikalisch genug eingesetzt, an sich schon eine magische Komponente/Qualität hat, "begnügen" sich viele Musiker bereits damit beziehungsweise erliegen dieser elementaren Faszination, wenn sie im Lauf der Jahre lernen, immer besser/virtuoser dieses Klangergebnis zu kontrollieren und bauen darauf ihre Karriere.
Von der Möglichkeit, selber sehr gute Musik zu entwerfen, kann das ein Leben lang abhalten.

Jetzt kommt wohl die Stunde des schnöden, unkreativen Tonträgerhändlers...

Genau, denn er steht genau auf der Grenze zwischen Kreation und Komsumtion, wenn ich das mal so analytisch ausdrücken darf. Meistens mit durchschnittlichen musikalischen Fähigkeiten ausgestattet, will er trotzdem teilhaben an der Faszination Musik. Diese Kombination aus fehlendem Talent oder Interesse am Instrument und dem Willen zur Begeisterung durch Musik ist ja auch bei den meisten der Grund, den Beruf zu ergreifen. Behaupte ich jetzt mal einfach so.
Da sich also der Händler mit der Gradation der musikalischen Qualität sehr gut auskennt, ihn aber keine narzistische Instrumentalfertigkeiten oder -eitelkeiten blockieren in diesem Urteil, ist er in der Lage, den Weg zum Ziel zu weisen.
Außerdem sieht er das Endergebnis um einiges nüchterner als sein vom eigenen Werk über das Verträgliche hinaus berauschte ausübende Kollege an der Geige, der Elektrogitarre oder dem Editierprogramm.

 
Von irgendeiner Fixierung auf einen bestimmten Instrumentenklang kann ich bei Deiner Musik auch nicht viel hören...

Das liegt daran, daß ich im Grunde genommen, oder: unter professionellen Bedingungen gesehen, kein Instrument "richtig" spielen kann, das heißt: ich hab keines ordentlich studiert. Dafür mit jedem so nach und nach angefangen, Töne zu machen. Daß dabei für den Popmusikbereich ganz brauchbare Sachen rauskommen, liegt also eher an der Einfachheit dieser Musik. Zumindest, was den geforderten Grad an Virtuosität angeht. Natürlich muß ein Mindeststandard erreicht sein, aber nach jahrelangem Umgang bin ich durch Konzentration der Übetätigkeit dann relativ zügig in der Lage, meine Vorstellungen zu verwirklichen. Und sollten die mal über meine Hutschnur gehen, kennt man ja noch Kollegen (grinst).
Außerdem: es tut einer Musik immer gut, wenn sich kein Sänger/Instrumentalist darauf überverwirklicht. Das wär dann Klassik (lacht).


Anscheinend ist Dir dieser Hut zu eng?

Viel zu eng. Ich bemerke immer häufiger, daß ich Musik mit möglichst vielen Inhaltsstoffen am besten finde. Grenzüberschreitende, große Musik, die sich zwar gerne an bestehende Stile und dazu passenden Instrumentierungen anlehnen kann, aber doch bitte diese Grenzen dann überschreitet. Die die transportierten Gefühle mit möglichst kreativen Klängen und Arrangements und Klangfarben rüberbringt. Klischee ist einfach nicht mein Hobby.

 
Wie schaffst Du es, diese wahnsinnige Bandbreite zu erreichen, die sich fast wie eine Enzyklopädie der modernen musikalischen Ausdrucksmittel liest?

Jagen und Sammeln. oder Eher: Finden und Nicht Vergessen. Darüberhinaus hilft mir natürlich sehr die bloße Menge der angestrebten Werke. Da kann ich verteilen und muß nicht nen unverdaulichen Stilmix auf einer Scheibe präsentieren. Einer der wahnsinnigen Vorteile, wenn man sein Lebenswerk schon an Punkt Null im Blick hat. Das hilft dabei, sich nicht zu wiederholen und hält den Blick aufs freie Feld der Experimentiermöglichkeiten offen. Und:was will man mehr, wenn Kunst als Weg und nicht als Endlosschleife im Leben sein mag.

 
Oder lockert die Fesseln des Erfolges, die mit einer betimmten Art Musik oder Klang oder Markensound zu spüren wären.

Exakt. Ich halte diese Methode auch für geeigneter, die eigene Persönlichkeit zu bilden, an der selbstgestellten Vielfaltsaufgabe zu wachsen. Nicht nur künstlerisch, auch generell als Horizonterblicker und -erweiterer. Diese unendlichen Stile und Lebensgeschmäcker zu integrieren ist doch grandios! Auch grandiosas Vergnügen! Natürlich kann man den mal gefundenen persönlichen Stil, die eigene, hart zusammengelebte Handschrift immer mehr verfeinern im Laufe der künstlerischen Laufbahn. Ist aber nicht so mein Ding. Zudem hab ich massiv die Erfahrung gemacht, daß das außer den Künstler und die zähe Fangemeinde niemand mehr interessiert nach spätestens drei Scheiben. Sowas verkommt meiner Meinung nach ruckzuck zum Brotjob und riecht stark nach Serienreife. Gaaaanz schlecht bei Musik, finde ich.

 
Muß auch spannend sein, all das aufzustöbern, an das man nie im Leben denken würde. In der ersten Sekunde des Sturms.

Ist aber auch mit wachem Blick auf die eigene Betriebsblindheit gekoppelt. So ne Art Erweiterungsaufgabe, die ich mir da immer wieder stelle. Die Welt des Klangs ist so unendlich, die musikalischen Pflänzchen weltweit so fantastisch andersgestaltig, das ist doch eine unglaubliche Gelegenheit. Und Appell, ja, das eigentlich vor allem. Wie oft sitzt man denn da und dreht sich mit Kompositionen im Kreis, den immer gleichen, "erprobten" Mustern, Instrumentationen oder einfach ner unbemerkten Stilmittelarmut. Das ist noch schlimmer: wenn man´s gar nicht bemerkt. Oder bemerken will und das den Fans überlassen mag. Wenn da keiner kommt, der das Fenster öffnet und frischen Wind reinläßt...


Ähem, viele Musiker fühlen sich auch einem eigenen Stil verpflichtet...

Ja ja, die hehre Selbstwahrnehmung als eigenständiger Künstler, die wachsende Wahrnehmung einer ebensolchen Fangemeinde oder schlicht unbedachte Unfähigkeit und der starke Unwille, mal was anderes auszuprobieren. Liegt oft ganz schön nah aneinander, das. Schlag zum Beispiel mal einem Jazzer vor, nur in die Disko zu GEHEN. Zum ENTSPANNEN. Oder einem klassisch studierten Cellisten, sich der befruchtenden Begegnung mit geschmackvollem Elementarelektronikbumbum hinzugeben. Da, plötzlich, kommt die Selbstwahrnehmung durch, leider nur als elitäre Selbstverortung und als haarfeines Gespür für Niveauunterschiede.
Fast alle Musiker, die ich kenne, halten sich da schön unweit ihrer Quelle auf, schon rein instinktiv. Musik ist schließlich für die meisten hauptsächlich das Bedürfnis, sich auszudrücken, die innere musische Ader zum Vorschein kommen zu lassen, sich wohlzufühlen, sich mit der Welt zu harmonisieren. Das Entdeckenwollen spielt sich meist innerhalb der Genregrenzen ab.


Lebensgefühlsgrenzen gar?

Sehr schön, danke. Das ist es.

 
Mit diesem zehn"bändigen" Gesamtwerk kann man sehr viel an Grenzen ausloten. Oder sind die sicher verschwommen wirkenden Horizonte des Starts, nachdem man einen solchen Plan gefaßt hat, plötzlich zum Greifen nähergerückt?

Eine sehr bizarre Lage: mit einem Lachen eine solchen Riesenplan hinwerfen und nach einiger Zeit Arbeit daran plötzlich sehen, wie klein er im Vergleich mit dem Universum Musik schrumpft, das man ja damit eigentlich umfassen wollte.
Schon die Genres, die ja in jeder CD stellvertretend gewürdigt werden, sind zu groß. Viel zu groß. Man denke zum Beispiel nur an Musik für Kinder. Auf Anhieb eigentlich nichts groß Diverses. Aber dann fallen mir als Händler so Untersparten ein wie: Musik für Säuglinge zum Beruhigen und Einschlafen. Klassische Kinderlieder. Lieder zum Mitsingen, Klassik für Kinder mit gesprochener "Museumsführung". Kinderlieder und Hörspiele. Musik und Geschichten auf einmal. Dann, für die Größeren angepaßte Songs aus dem Hitparadenbereich. Die Schlümpfe zum Beispiel mit ihren deutschen Versionen internationaler Hits, dann der Übergang in "erwachsene" Musik für Teenies, die dann den Absprung weg vom Kindsein in musik-konsumtechnischer Hinsicht darstellt.


Wen man sich dagegen gar Filmmusik vorstellt...

Tja, das explodiert dann vor Möglichkeiten und man muß sich plötzlich einschränken- sowieso ein Riesenthema für Musiker. Die Möglichkeiten heutzutage sind schwindelerregend. Nicht nur von produktionsmitteltechnischer Seite her.
Auch die weltweite Verfügbarkeit aller Stile, Instrumentierungen und Vortragsarten haben schon manche Musikerkarriere ins Nichts verwässert: Man kann halt alles und will ab und an auch alles ausprobieren. Und: Musik nimmt einem ja nichts übel, ist knetbar wie Gummi und birgt immer das Versprechen, daß dabei ein ungekannter Geschmack, ein unbekanntes Musiker-Ich, ein neues Genre oder gar weltweiter Ruhm bei rumkommen.


Scheint ja auch das Thema von Charakterschutz per se zu sein..

Unbenommen. Aber mit einer gewissen Programmatik bitte sehr. Auch ergeben sich durch die Beschränkung, die ich mit der Idee eines statistisch typischen Karriereverlaufes ja ohne Zweifel einführe, tatsächlich automatisch fast alle Ansatzpunkte, wie konkret zu Werke geschritten werden kann. Ich mache mir durch das "geplante Vorhandensein" einer -wie auch immer gearteten- Filmmusik CD in meiner Liste irgendwann dann Gedanken, was für mich Musik zu Filmen bedeutet, ob mich das Thema irgendwie fasziniert -was es zweifellos tut- und was mir dazu einfällt.
Wobei ich mir anfangs tatsächlich sehr schwer getan hab damit. Bis ich auf den Trichter kam, mir erst ganze Filme beziehungsweise Ideen, aus denen Filme werden könnten vorzustellen, zu denen dann komponiert werden wollte.
 

Das heißt: so ne erfrischende Übung zum Thema: was könnte ich sein als Musiker?

Erfrischend und Grenzen im Selbstbild aufbohrend- ganz extrem. Wieviel Musiker, die ich kenne, produzieren aus so einem verträumten Blickwinkel ihrer emotionalen Seelen befindlichkeit heraus- was ich, da es die Standardsituaton ist, keinesfalls in Verruf ziehen will. Aber es sind doch die Ideen und Visionen, die Neues gebären helfen, die Leben und Persönlichkeit im Positven entwickeln und wachsen lassen. Warum also mal nicht aus einem analytischen Blickwinkel starten und sich als ein Jemand vorstellen, der schrillbillige Plastikmucke zu grellen Italostreifen produziert? Gerade das Undenkbare wagen, da hilft ja Musik in phantastischer Weise weiter.
Da fällt mir als Paradebeispiel für dieses Gedankenexperiment ein Interview mit dem Sänger von (..) wieder ein, der sich egotechnisch am unteren Ende der Fahnenstange fühlte. Als er sich mal in einer schlimmen Krise vorstellte, Musik zu schreiben, die ihn sich endlich sexy fühlen lassen sollte, gelang es plötzlich- die Musik veränderte sich dadurch, wurde extrovertierter, vitaler und- sexy!


Und ein neues Zeitalter in seinem Leben brach an...

Ja! Wirklich!! (lacht)

  
Wenn man so viele Jahre tagaus, tagein stetig (neue) Musik hört...

...ist das ein zweischneidiges Schwert. "Zuviel" zu kennen kann ein betonschwerer Hemmschuh auf dem Weg zu eigenständiger Musik sein. Der lang und hart antrainierte Kategorisierungszwang vieler Händler ist da ein schier unüberwindliches Problem. Ironischerweise aber nur, wenn man es aufs Komponieren anlegt.
Das tu ich nicht.
Ich lasse es eher so "passieren". Beim beiläufigen, gedankenlosen Üben zum Beispiel. Oder beim abwesenden Stadtdurchqueren. Da durchqueren ebenso automatisch und ungerufen allerlei Melodien meinen Gedankenfluß. Ich hab da sogar nen Namen dafür:
Kopfradio. Und: ich genieße das.
Also Gelegenheiten unterwegs, wenn plötzlich oft gehörte Musik oder Fetzen von Liedern zu Bewußtsein kommen, und ich mir dann einige Stellen aus dem Gedächtnis quasi "vorspiele". Das ist super, handelt es sich meistens doch um Musik, die ich eigentlich zu oft gehört und damit irgendwie für mich "vernichtet" habe , durch Vorstellungskraft aber nur das bleibende Schöne dran hervormischen kann und nervigen Rhythmus, käsige Geigen oder schrilles Stimmgelage des Originals einfach ausblende.
Zum Komponieren taugen dann insbesondere so bauteilchenartige Stücke wie eine kurze Melodie oder ein bestimmter Rhythmus oder Klang, den ich trotz dauernden Hirnwiederkäuens und aller assoziativen Anstrengung nicht zum Liedtitel oder Interpret zuordnen kann. Ansatt dann drei Nächte nicht zu schlafen, weil die Tonträgerhändlerehre in Gefahr geriete, begreife ich dieses Fragment dann sehr gerne als etwas völlig Eigenständiges, das es wert ist, zum Keim einer neuen musikalischen Idee zu werden.


Das hört sich an wie Einer, der in einem Meer der Inspiration treibt, für alles Herantreibende empfänglich ist und vorurteilslos zusammenfügt. Das ist ja so mal ganz ohne zielgerichtet zu sein.

Man findet besser, wenn man leer ist. Wenn man nicht sucht. Nur wach ist. Man empfängt die Welt, integriert wieder ein Stück von ihr in sein Leben, seinen Körper. Und wächst dadurch, verändert sich.
Dabei treibt alles herein, was man mit Sinnen so fassen kann. Verkehrs- und Naturgeräusche, Sprachfetzen der Passanten, aber auch Bilder, Ansichten, Gerüche. Die mich dann weiter öffnen oder zur nächsten Entdeckung leiten.

Unter anderem auch zu weiterer "Musik" aus dem Kopfradio. Man treibt natürlich dabei auch auf dem eigenen Meer herum- erfährt Resonanzen, Bilder aus dem eigenen Leben erscheinen, denen man dann die neue Eindrücke beifügt. Bei diesem doch sehr intuitiven Vorgang fällt mir grad wieder diese erstaunliche Geschichte der beiden brasilianischen Jungen Milton Nascimento und Wagner Tiso ein, die in den Fünfziger Jahren irgendwo im Brasilianischen Urwald vor dem Radio saßen, und mangels Aufnahmetechnik auf die Idee verfielen, sich die gespielten Bossa Nova Melodien zu merken, aufzuschreiben und die Harmonien dann später selbst dazu zu finden. So gelangten sie zu einem völlig eigenständigen Stil.


Das bedeutet aber doch auch, daß Ergebnis, Menge und Qualität des Gefundenen nicht wirklich beeinflußbar sind. Dagegen so was Fokussiertes wie eine Agenda zu setzen - ist das nicht wahnsinnig?!

Nur unter dem Aspekt der Deadline-isierung. Diese Agenda/Diskografie verwende ich aber ausschließlich zur Themenfindung und Kristallisation. Sich dabei unter Zeitdruck zu setzen, wäre extrem kontraproduktiv. Das ist es ja, was die Musik und Kunst weiter hinausschnellen läßt, als es die Leistungsgesellschaft je schafft.
Außerdem besteht ja angesichts des ich sag mal "kritischen" Verkaufswertes keine Notwendigkeit, sich irgendwie zu beeilen.

Mit eigener Musik zu Markte zu schreiten drängt Dich offensichtlich wenig?

Wenn man sich in einer mittleren Großstadt mal eine Stunde in eine gut sortierte Bahnhofsbuchhandlung stellt und nur auf sich wirken läßt, WAS da nur im Bereich Print alles zum Verkauf steht, wird schnell klar:
wir leben im Zeitalter der medialen Sintflut. Das gilt für alle Medien. Bei Audio ist es sogar noch schlimmer als bei Druckwerken: die Produktionsmittel für Musik sind auch noch für jeden erschwinglich, der über ein mittleres Einkommen verfügt. Dadurch und durch die Möglicheit, via Internet an die Öffentlichkeit zu treten, wird dieser Overkill losgetreten. Jeder kann publizieren, was ihm in den privaten Sinn kommt. Damith fällt eine mittlerweile historische Vorselektion weg, die seinerzeit durch die Verantwortlichen in den Medien durchgeführt wurde. Und damit wurde auch eine, ob jetzt begrüßenswerte Qualitätssicherung vorgenommen, da Medienmacher durch ihre Erfahrung und den Absatzimperativ immer einen weiteren Horizont haben als reine Amateure, die vielleicht hundert CDs im Regal haben oder durch allzu eng fokussiertes Fantum verfärbt sind.

 
Deiner Musik wird oft, vielleicht aufgrund mangelnder Vergleiche, das Attribut "schrullig" angehängt. Dabei klingt oft ein vorwurfsvoller, abwertender Ton mit an, der Deine Musik in einen Bereich schiebt, der ans Unkontrollierte, Unanhörbare, ja sogar Unintentionierte grenzt.

Die Musik von Charakterschutz MUSS schrullig sein, nur schrullig wirft den wahren Funken der Inspiration.

Das hört sich an, als ob die Idee, die Inspiration höher zu bewerten seien als das Ergebnis.. Eine für davon den Lebensunterhalt bestreiten wollenden Künstler etwas gefährliche Einstellung, oder?

Damit sprichst Du ein grundlegendes Dilemma an: wenn man wie ich sich vom Bestehenden gelangweilt und vom Unbekannten, in sich Unentdeckten, angezogen fühlt. In dieser Mine durch ein inneres Bedürfnis "schürfen zu müssen" muß zwangsläufig zur Lösung führen, den Lebensunterhalt davon unabhängig gestalten, sonst sind die Ergebnisse der reinen Geldnot zuzuschreiben. Hier ist meine Arbeit als Händler als meine persönliche Ideallösung für dieses Problem zu nennen. Oder, wie es in der Naturwissenschaft heißt: "die Forschung muß frei sein".

 
Mit "Forschung" meinst Du aber nicht "Marktforschung"?

Ha ha, klingt ganz schön sarkastisch, aber: nein. Natürlich ist es schon merkwürdig, wie viele Musiker ihr "Produkt" plötzlich stilmäßig an den gerade spürbaren Trend angleichen. Sicherlich wird da viel unbewußt sondiert, oder man fühlt sich von aktuellen Strömungen zu Neuem "angeregt". Das ist jetzt sehr positiv ausgedrückt. Von außen besehen sieht das oft anders aus.
Und a propos: hat eigentlich schon mal jemand bemerkt, daß es heutzutage, im Jahr 2006, völlig unauffällig ist, daß sich alle Musiker brav bei ihrem Publikum bedanken? Dafür, daß es überhaupt da ist? Da hab ich andere Zeiten erlebt: Daß einfach lustig drauflos experimentiert wurde, ungehemmt und lustbetont Unhörbares produziert wurde. Das vermiß´ ich heutzutage- diese Aura des Unbekümmerten, daß sich hier jemand primär auf die Musik konzentriert. Und nicht Promoaktivitäten und Überlegungen unnötigerweise in die Gestaltung der Musik einfließen läßt.
Aber vielleicht läßt sich das nur sehr schwer trennen. Oder nur durch Aufgabensplitting erreichen, also mit einer eigenen Promoabteilungen und Leuten, die sich um Werbestragien und -feldzüge kümmern. Also schon wieder nur in organisierten Betriebsformen verwirklichen. Mm.


 
Könnte vielleicht mit dem bewußtseinsverändernden Internet zu tun haben, das diese oft spürbare "Orientierung an Verfügbarem" anstoßen könnte.

Du meinst dadurch, daß man sich mehr umguckt? Oder eher: daß man plötzlich viel mehr Vergleichsmöglichkeiten hat? Sicher. Diese scharfe Ahnung, daß "da draußen" Tausende von, äh, kompetenten Mitbewerbern unterwegs sind, aus deren Reihen eines nur einen Mausklick entfernten Tages zufällig einer heraustreten könnte, der dasselbe wie man selber, nur noch besser, interessanter, funkier oder düsterer hinkriegt. Bestimmt legt das die Latte für private Musikproduzenten höher. Was ja zu befürworten ist. Aber auch den fatalen Nebeneffekt hat, daß man etwas mutlos wird. Sich eigentlich davon etwas zurückziehen mag, um sich auf Eigenes Werk zu fokussieren. Immer mit der schlimmen Vorahnung im Nacken, daß irgendwo auf der Welt jemand an der Tastatur hockt, der einem eine Woche vor VÖ den Wind aus den Segeln nimmt. Oder schlimmer: die eigenen romantischen Träumen vom Individualismus in Null Komma Nichts wegtrocknen läßt.


Da brauchts dann schon den entsprechenden Charakter, der sich da nicht unnötig mit herumschlägt.

Tatsächlich eine Frage der persönlichen Disposition, ja. So sehe ich das auch. Sich nicht allzu sehr vom Aktuellen, Bestehenden in seiner eigenen Schattierung und Aktivität beeinflussen zu lassen. Aber auch nicht völlig zu zu machen. Das geht erst, wenn man einen eigenen Stil hat. Oder wenigstens eine genaue Vorstellung von dem, was da gefälligst zu entstehen hat. Eine Gratwanderung zwischen Ignoranz und empfänglichen, Strömungen auffangenden Sensibilismus. Vielleicht ist das eine Hauptzutat für große Kunst; ganz allgemein gesehen.

Auf diesem Gebiet wäre das Autistische, ganz im eigenen Kosmos Agierende des Künstlers ja plötzlich von immensem Vorteil.

Unbestreitbar. Hier kristallisiert sich ganz klar das Dilemma, in dem sich jeder befindet, der etwas hervorbringt und damit dann verwertend an die Öffentlichkeit treten mag. Um erfolgreich zu sein, braucht es dazu zwei konträre Arten des Geistes. (..)

 
"Das Eghrin ist ein Organ zur Abwehr von Information" Diese nur auf den ersten Blick lachhafte Erkenntnis gilt somit wohl erst recht für Kreative im Internetzeitalter, oder?

Manchmal denke ich zurück an Zeiten vor myspace und youtube. Es gab keine blogs, SMSse oder Internetzugänge für daheimrum. Das heißt Briefe schreiben und Telefonieren war das einzige Mittel, sich darzustellen. Noch dazu vor einzelnen Empfängern oder Zuhörern. Alle anderen Arten der "Veröffentlichung", der breiten Streuung eigener Gedanken und Werke mußten irgendwelche Drittpersonen passieren. Gremien, Redaktionen, Juries.
Wenn ich da zurückblicke, find ich das irgendwie bescheidener. In dieser Stimmlosigkeit. Die persönlichen Sinne waren auf Rezeption gerichtet. Gar kein Vergleich zu der bloggerei, dem tonnenweisen Hochladen, diese easy-going-hemmungsfremde Verklappung geistiger Reagenzen. Das Internet macht uns da zu geschmacksmäßigen Formationsfliegern - erst heute guck ich mir die Maxi-Neuheiten an- Robbie Williams, Tokio Hotel, Within Temptation, Sido- ALLE haben die gleichen drei Farben als Cover- und Schriftfarben, nämlich schwarz, weiß und ein karmines Rot.

Und dann ist wieder ein sanftes Blau mit ockerfarbenen Gegengewichten..

Das passiert von Zeit zu Zeit und ist mir ein sicheres Zeichen für den globalen Trend, der viel deutlicher in der Luft liegt, beziehungsweise sich per Internet allzu schnell kristallisiert. Und dem sich vor allem die Designer nicht entziehen. Können oder Wollen, da verwischen die Unterschiede. Wie in der Musik auch: lasse ich mich durch neue Strömungen anregen, um mit meiner Kunst, meiner Musik mal was Neues auszuprobieren? Und: find ich das dann praktisch, daß das Ergebnis trendmäß konsumierbarer, dem Hauptstrom ähnlicher, kompatibler wird?
Das ist schwer zu sagen. Von außen gesehen. Und für den Künstler selbst auch. Eigentlich eine Frage, die jeder für sich selbst so stehen lassen muß bevor sie durch zu genaues Besehen zum Hindernis und Schreibblockade wird.

Nochmal zurück zur genannten Stimmlosigkeit: Du meinst, Einiges ist anders geworden, seit sich jeder in Foren und blogs einbringen kann?

Superanders. Eine historische Respektlosigkeit hat Einzug gehalten. Finde ich sehr ambivalent. Dieses Mitmischen ist zu 90 Prozent Wichtigtuerei. Einzelhaushalte/Singleschicksale mit weitreichenden virtuellen Kontakten. und dem schmeichelnden Gefühl: meine Worte finden noch mehr Leute als die Üblichen Bequatschten super: Neue stoßen minütlich per Suchmaschine drauf. Und werden augenblicklich treue Fans.
Elfhundert Freunde (siehe Interview zum Durchbruch) sag ich da nur. Fehlt dann nur ein Rückwärtslink und alles wird gut. Anders gesagt: eine riesige Egomaschine, die sich mit Besucherzahlen und Kommentarlisten schmückt. Aber auch wieder auf ne gewisse autistische Art nur für den Eigenbedarf, die schöne Illusion nur in meinem Hirn, das ich dann auch noch für privat halte.

 
Eine perfide Art der Vereinzelung- tatsächlich.

Mach Dich ruhig lustig darüber. Für mich ein sehr großer, lebensfärbender Faktor der Gegenwart. Ich kenn zum Beispiel Musiker, um zum Thema zurückzukommen, die haben noch nie die Musik gehört, die ihre langjährigen Bandkollegen mit anderen Musikern machen. Und damit zum Teil sogar erfolgreicher sind als mit der eigenen Band...

Tatsächlich? Das finde ich jetzt aber schwer zu glauben.

Fakt. Musiker unter sich sind zwar ein überaus redseliges Völkchen, doch Horizonterweiterung mithilfe der Kollegen hat als Thema nach der Probe oder Aufführung wenig Chance.

Woran liegt das Deiner Meinung nach?

Ganz eindeutig an dem unwägbaren Wert von Musik. Mit eigenen musikalischen Werken dann auch noch bei Kollegen vom Fach hausieren zu gehen, birgt die sehr wahrscheinliche Gefahr der Ablehnung, da andere Projekte oft als Konkurrenzveranstaltung zum gemeinsamen Projekt beargwöhnt werden. Oder, was mindestens genauso schlimm wiegt: die Coolness-Gradation des anderen Projektes könnte vom eigenen differieren. Nach unten hieße dann: negativer Rückfluß aufs eigene gemeinsame Ding: Solche Schnullimusik, die der da mit den andern macht- könnte auch UNSER Ding irgend was mit blÖd zu tun haben??
Andersrum kommt natürlich gleich Neid auf, wenn sich der geschätzte Kumpel aus dem Probekeller in seiner Freizeit auf Riesenbühnen im europäischen Ausland rumtreibt, während man jahrelang immer wieder jede Mittwochsprobe an ersten gemeinsamen Demoaufnahmen herumhirnt.. Drum ist die unausgesprochene Devise: Schweigen? its Gold.

All Deine Musik auf einmal, noch dazu in einer demnächst " historischen" Darreichungsform, der CD als physischem Tonträger zu veröffentlichen....

.. hat auch mit dem Willen zur Geschichte, der Liebe zu meinem Beruf als Musikhändler mit einem realen Aufeinandertreffen von Menschen und der Weigerung zu tun, als Künstler - wie z.B. Radiohead- sich auf eine One-Track-Download- Mentalität einzustellen, nur weil dies das absehbar einzige absetzbare Produkt der Zukunft sein soll. Neben dem Handygeklingel natürlich..
Ich frage mich auch, wie die Kids der Zukunft den Begriff "Werk" einordnen werden, wenn alles zusammen auf den USB Stick gemasht wird. Ob er als Bedeutungsträger für so was wie ein Album komplett verschwinden wird, sobald diese Generation sich mit Musikmarketing und -journaille beschäftigen wird.

Meine Musik auf CD zu veröffentlichen soll auch wie ein frühreifes Denkmal für eine schwindende Zeit dienen, als die Erschließung neuer Musik und Faszination noch nicht beim Surfen in Foren wie myspace.com, purevolume.com, bandwagon.co.uk oder solch teuflischen Erfindungen wie pandora.com stattfand, sondern an einem Stück Tresen oder zwischen Regalreihen wie im Tante-Emma-Laden. Kennt diesen Begriff überhaupt noch jemand ??

Wenn man mit der Veröffentlichung seiner Werke wartet, bis das "Gesamtwerk" steht, ...

.. bedeutet das zweierlei: ich fühle eine solche Kreativität in mir, daß ich ihre Potenz mit der Produktion von nur einer CD verschenkt sähe. Und zu breit gestreut. Diese zehn verschiedenen CDs sind sowas wie Sammelstellen, die langsam, aber sicher gefüllt werden. Dazu kommt, daß ich die Zeit vor dem Schritt ins Rampenlicht als zu kostbar ansehe. Kaum hat man was rausgebracht, hat man mit Interviewern, Kunden, Fans und Neidern zu tun. Der Focus, der vorher sehr eng auf die Arbeit gerichtet war, wird durch diese vielen Leute, die sich da einmischen, zwangsläufig verwässert. Mein Augenmerk liegt aber auf Qualität, die ich nur auf diesem Wege zu erreichen glaube.

  Und vielleicht auch auf Varität?

Natürlich! Darum wird man ja Künstler: um sich ungestört allen möglichen Aspekten der menschlichen Existenz widmen zu können, die bei den paar engen Aufgabenstellungen oder Blickwinkel und Lebensweisen nicht vorkommen, die der Kapitalismus oder eine Staatsreligion so auswerfen. Musik mit Textlichem Inhalt bietet sich da für mich sehr gut an. Man kann ein Hörbuch draus machen, und erreicht so die Menschen im Auto. Also unterwegs in ihrem individuell gewählten Leben. Das ist ein Riesen Vorteil. Die beigemengten rhythmischen und klanglichen Bestandteile bringen den musischen, anziehend emotionalen trojanischen Effekt.

Mit ner 10er Box hat man dann auch nen gut sichtbaren Brocken erworben.

Futter für die Fans. Was zum Nachhausetragen oder Nachhausebestellen und ins Regal stellen. Devotionalien ohne physische Existenz wie .mp3s oder .wavs liegen noch jenseits meiner Vorstellungskraft. Jemand eine Idee?

Eine interessante Wortneuschöpfung, dieser "Charakterschutz", die uns Anlaß zu allerlei Spekulationen bereitet hat.

Charakterschutz wie Regenschutz?
also Schutz VOR (zu viel, zu ungesundem oder gar gefährlichen) Charakter?

Oder Schutz des Charakters? Eigenschutz? Fremdschutz?

Dann haben wir online recherchiert und neben dem Erscheinen des Begriffes im Zusammenhang mit virtuellen Rollenspielen folgendes Zitat aus der Deutschen Apotheker Zeitung (23/1998) gefunden:

Über fünf Jahre haben Wissenschaftler rund 1600 Männer und Frauen auf ihr Herz-/Kreislaufrisiko hin beobachtet. Besonderheit: Alle Teilnehmer mussten sich vorher einem Persönlichkeitstest unterziehen. Die Daten aus Charaktercheck und medizinischer Untersuchung förderten schliesslich ein erstaunliches Ergebnis zutage. Menschen mit unterwürfiger Persönlichkeitsstruktur haben ein besonders geringes Herzinfarktrisiko Der "Charakterschutz" hat allerdings eine geschlechtsspezifische Einschränkung: Ausgeprägte Nachgiebigkeit zahlt sich demnach vor allem für Frauen aus, Männern nutzt sie weniger...


Interessant, diese letzte, "klinische" Sichtweise: mein Charakter schützt mich/meine Gesundheit durch seine individuelle Beschaffenheit vor irgendwas.. Die Bedeutungstür, durch die ich auf das Wort gestoßen bin, wäre aber die des Fremdschutzes der Person vor ihrem eigenen Charakter, vor den (gefährlichen) Auswirkungen auf sich selbst. Aber auch auf die Umwelt. Charakter als eine besondere Art Gefahrengut für die soziale Allgemeinheit sozusagen.
Die Vorstellungen haben sich aber schnell als ebenso anregend wie ebenbürtig dazu gesellt. Und irgendwie sind sie verschiedene Seiten der gleichen Medaille.

Alles auf Deutsch?
..kann ich am besten, versteh die feinen Schwingungen, erreiche dadurch eine gewisse Gütemarke, die mir über schnöden International-Ehrgeiz hinaus den reinen Spaß macht.

Englisch ist weltweit, die Sprache im Internet, wie die alte Bauernregel besagt.
Englisch Zeugs versteht man auch in ( amerikanischen Jinglesprechertonfall annehmend) gebildet-Uruguay, in TopDogTokio und in TV-Schweden sowieso. Das wär doch der Grund für den ehrgeizig aufstrebenden Künstler, oder?


Schon, hat aber zu bedenkende Vor- & Nachteile:
ich trete mit diesem kulturellen Beitrag an gegen die ohnmachtende Masse aller, die so denken und dementsprechend Wörterbuch zum Texten nehmen. Nehmt Euch einen Shakespeare vor, stellt Euch vor, daß die Latte damit recht hoch liegt (räusper), die rhetorische Entwicklung nicht Halt gemacht hat, immerhin hat die englische Sprache über 80.000 Wörter und Redewendungen im Schatz, und dann erst bitte das Argument dagegen..
Abzuwägen bleibt: schätze ich mich so gut ein, daß ich gegen die Titanen der englisch-sprachigen Pop- oder Sonstmusik antreten will, oder fütter´ ich damit nur mein verträumtes Ego? Das Dolle an Englisch, gesungen von Deutschen für Deutsche ist der eingebaute Schalter, entweder zuhören=verstehen zu können oder das Musikhören aufs Nebengleis zu drängen. Untermalung und Stützung der persönlichen Gefühlslage. Sehr wichtig in multifunktionalen modernen Leben. Das klappt nur mit einer Musik richtig gut, deren Sprachgestalt ich mir nicht primär angeeignet habe.
Spricht also für Englisch, sogar daheim am Herd?

Eher für nur daheim am Herd. Beschränkt also wieder auf den nationalen Markt, es sei denn, das Emotionale kommt gut rüber. Dann hat man den nichtenglischsprachigen Teil der Welt erfreulicherweise auch gleich mit auf der Agenda. So gesehen die zu wählende Option: englisch, weil fast alle daran herumträumen können.
Auch klar: die Absatzmärkte sind unverhältnismäßig größer, aber die "Anbieter"zahlen bewegen sich in mindestens ebenso schwindelerregenden Dimensionen. Wenn man das rein marketingstrategisch sehen mag.
Ich erreiche mit meinen Gedanken und Klängen natürlich viel mehr Menschen, bewahre aber mit deutschen Texten, im globalen Kontext gesehen, meine spezielle Mentalität, die weit über die Klischees Weißwurst, Sauerkraut oder Rollendes "R" hinausgeht und der angestammten deutschen Exportkultur einen aktuellen Beitrag hinzufügt. Was ja wünschenswert ist.
Also eine spezielle kulturelle Beitragsfähigkeit, auf die ich nicht verzichten mag. Plattitüden zu umschiffen würde mir auf Englisch bedeutend schwerer fallen als in meiner Muttersprache.
Außerdem entstehen via Durchdringung mit der englisch-amerikanischen Kultur neue Wortschöpfungen, die spezifisch hierzulande sind. So kann an der hiesigen Sprache aufgezeigt (und herumgespielt) werden, wie die jenige darauf wirkt, eingewebt wird oder wie damit persiflirtet werden kann. Was ich ungleich reizvoller finde.

Wenn ich das Charakterschutz-Universum so durchsuche- gar nicht mal wenige. Stimmt- das hat eine neue Note, die man mit ausschließlichem Englisch nie hinkrägte..

Da fällt mir ein doch sehr treffendes Fazit ein, das ich neulich in meinem Lieblings-englisch-sprachigen-Musikjournal gelesen hab. Es ging da um die Kriterien ("What have We learned?"), die man erfüllen mußte, um beim Leserpoll um die 100 dollsten Platten aller Zeiten unter irgendwelchen Plätzen überhaupt zu landen: "Ensure English is Your mother tongue - 99 per cent of acts in the Top 100 are English-speaking. Hence The Lack Of Ace Of base" (Q- Magazine 235)
Das klingt nach einem doch beträchtlichen Anspruch, den Du an die Qualität der Musik, also auch Deiner Musik stellst.

Unvermeidbar- als Händler. Man kennt verheerend viele Rohrkrepierer, also Künstlerkarrieren, die sich nach der ersten verheißungsvollen Platte oder sarkastischer gesagter: nach dem recht ernüchternden Ergebnis der persönlichen Vision von Musik sofort in den Ramschkisten der Gebrauchtläden oder, noch tiefer: Flohmärkte installieren. Mit dieser (professionellen) Erkenntnis im Rücken fällt dieses naive Nur-das-Eigene-Schönträumen einfach schwerer. Der Vergleich liegt schlicht in der Natur dieses Berufes: jede neue CD will irgendwie ins bestehende Universum einsortiert sein. Schon einfach aufgrund des beratenden Charakters, den dieser Beruf beinhalten kann. Oder des monumentalen Willens, wenigstens auf diesem irrelevanten Sektor der menschlichen Existenz in fachmännischen Ton mitreden zu können.
Anbei ist auch ein scharfgestelltes Bewußtsein des Gewöhnlichen gegenüber des Abseitigen, Schrulligen, Kultigen. Des elitären Gefühls, in Kenntnis musikalischer Perlen zu sein, zu deren Entdeckung die dumpfbackige hirngewaschene Fernsehnation ihre Fernbedienung braucht wie verzweifelte Babies das Fläschchen.
Auch eine (eigentlich unangebrachte) Arroganz, diese Eintagsfliegen mit schnippischer Handbewegung in die Tonne zu befördern ist einer dem Selbstvertändnis des typischen Tonträgerhändlers zugehöriger Zug.

Gehst Du da nicht unerträglich streng mit Musikern um? Unzählige finden doch in ihrem persönlichen Mikrokosmos Brot und Arbeit. Und das, ohne sich derart strengen Maßstäben unterwerfen zu müssen.

Um die dreht es sich ja hier gar nicht. Es geht mir um Betrachtungen diejenigen betreffend, die den großen Traum vom Berühmten träumen und die Grenze zum Konkreten überschreiten. Mit oder ohne sich der Konsequenzen bewußt zu sein.

Musikern scheint diese Fähigkeit, das Thema mehr aus der Entfernung zu sehen und den Kontext zu kennen, in dem sie sich mit ihrer Musik bewegen, eher abzugehen?

Ausübende Musiker, mitunter sogar sehr gute, kennen sich oft erschreckend wenig aus, und wundern sich dann, wenn endlich das Werk getan ist und fünf Kartons mit Tonträgern den Hausflur in ein Minilager verwandeln, daß außer den Kumpels und Verwandten kaum jemand zur Begeisterung zu bewegen ist. Von A&R-Abteilungen großer Plattenfirmen ganz zu schweigen.
Sich von eigen gemachter Musik wohlzufühlen ist super, betäubend wirds aber, wenn dieser Traum auch gleich Unbescheidenes wie Superstardom=massiven öffentlichen Zuspruch miteinschließt, da, um diesen zu erreichen, andere Qualitäten vonnöten sind, die mit musischer Genialität und Schaffenskraft null zu tun haben, und ein unglaublich nüchterner, selbstehrlicher Blick auf die eigene Person erste Bedingung ist, wenn man nicht das unwahrscheinliche Glück hat, mit der eigenen Persönlichkeitsstrktur grad eine hippe Zeitgeistschwingung verstärken oder reflektieren zu können..
Wie in Interviews ab und an zu lesen ist, ist das regelmäße Kaufen von Unmengen an völlig vielgestaltiger Musik das tägliche Brot weltbekannter Musiker, die fast immer gleichzeitig auch totale Musikjunkies sind. Hier in der deutschsprachigen Musikpresse wird dieser wichtige Umstand oft nicht in seiner ganzen Relevanz dargestellt: berühmte Musiker kennen ihr Umfeld sehr gut und vor allem mehr, als sich ihre Fans oft vorstellen können. Oder wollen.
Und sind eben dadurch in der Lage, ihren Status zu halten.
Vielleicht geht es bei einer CD Produktion im eigenen Haus oder unter eigener Regie ja auch nur um einen sehr privaten Traum, den zu durchleben oder durchkämpfen den Musikern schon genug ist. Wenn die Kartons mit den CDs im Hausflurregal vergammeln, ist das Werk eigentlich schon abgeschlossen.

Ja. Ich kenne da auch einige Fälle. Ich würde es von der inneren Einstellung dazu dem Basteln an einer Modelleisenbahn vergleichen. Es geht um die reine kreative Arbeit, um die Ausschöpfung der eigenen Fähigkeiten, der Anschaffung von geeignetem Equipment. Und um die ernüchternde Einsicht, daß die persönlichen Fertigkeiten weit hinter dem Traum zurückbleiben. Ein Prozeß der Demut sozusagen. Man hat durch die Produktion gelernt, wieviel unendlich mehr zu einem "großen" Werk nötig ist. Das erkennt man dann, oft unter Schmerzen und dem Ausweg der Relativierung im Verlauf. Die Verve, damit dann noch zu Markte zu schreiten, verfliegt schnell, ist man doch besser in der Lage, diese handgestrickte CD mit dem Besten Erhältlichen zu vergleichen, einfach aufgrund der selben "Darreichungsform" als Tonträger. Was, bis es soweit ist, verschleiert und geschönt wird durch den persönlichen Traum, der sich auch konkret-nüchternen Vergleichen entziehen muß, um zu überleben.
Das hieße dann, Musiker trügen eine fast immer erschreckend unscharfe Linie zwischen introspektiver kreativer Kraft und nur bruchstückhafter Selbsterkenntnis in sich. Und sollten ihr Werk, ohne dem Klischee des beliebten Musikervorwurfs des " Nach-dem-Publikum-schielens" anheim zu fallen, ständig unter dem Qualitätsstandpunkt im Auge behalten?

Daß Charakterschutz ein typisches Händlerding ist, erkenne ich auch daran, daß beim Hören ständig verglichen wird und nicht, daß autistisch so lang an was herumproduziert wird, bis man, aus dieser Haltung heraus damit zufrieden ist. Lieber heute Schluß machen im Studio und übermorgen wiederhören. Es gibt da keinen Bruch finde ich: nach dem Publikum schielen bedeutet doch im besten, konstruktivsten Fall: sich selbst als sein eigenes, kritisches Publikum vorzustellen. Da gähnt ein riesiges Universum der Bandbreite des Publikumsbegriffes in Musikern.
Ich höre ne z.B. Trompetenplatte eines Bekannten, mir fallen auf Anhieb weitere Platten ein, wo ich Melodien- und Originalitätsthematik optimaler "gelöst " sehe und ich denke: "Na, da hätten sich die Jungs mal mehr Mühe geben können mit der Melodienauswahl." oder: die müßten sich das und das mal anhören ..Andererseits muß man natürlich a) der Spielfreude Leine geben und b) Zeit zugestehen, etwas zu entwickeln. Das ist sehr wichtig und darf auf keinen Fall vernachlässigt werden.
 Wenn ich mir das Artwork, also die graphische Gestaltung Deiner CDs so angucke, fällt mir auf, daß mehrere Bestandteile einer corporate identity vermieden werden: es gibt keinen charakteristischen Schriftzug, kein Logo, keine durchgehende Farbdramaturgie oder Gestaltung..

Ein für mich sehr interessantes Thema- das Artwerk von Tonträgern. Im Laufe der Jahre als Händler bekommt man ein feines Gespür für diese Art Sprach-Code, der meist zur musikalischen Verortung im Groben und zur Hervorhebung der eigenen individuellen Besonderheit(en) im Besonderen herhält. Leider oftmals nur dazu. Ich finde es eine ziemliche psychologische Leistung der Selbstverarschung, wenn Musiker genau und meiner Meinung nach völlig unbewußt wählen zwischen Uniformität im Groben und dem zwanghaften Anspruch auf Individualität im Feinen, der durch die Majorität der Coverdesigns durchscheint.

Verortung im Groben?

Damit meine ich das Phänomen, auch ohne die Bandnamen lesen oder kennen zu müssen, einfach anhand international sich stillschweigend bildender gestalterischer Gesetze eine bestimmte graphisch/designerische Syntax zu benutzen, die die Art der Musik in der Box vorankündigt.
Fleckige, in dunklem Braun oder Blau gehaltene Covers mit Frakturschrift oder unleserlichen Schriftzügen, blutrünstige Fotomontagen sind mir auf einer Minimal House Platte noch nie begegnet. Genauso warte ich bis heute noch auf eine CD mit klassischer Musik innen und Diskolichtersturm auf merkwürdig technoiden Röhrenkonstruktionen als Deckblatt.
Mainstreamige Popmusik ist bildnerisch meistens mit dem Konterfei der Protagonisten zufrieden, dazu ein gut leserlicher Schriftzug ohne irgendwelchen Aha-Effekt, Indimusik dagegen legt oft extremen Wert auf ein selbstgebasteltes/-gemaltes Outfit, um das Gegenteil der Stromlinienform zu betonen, verwendet oft Kinderzeichnungen oder Illustrationen aus Kinderbüchern, handgeschriebene Schrift, Klebecollagen, Stilmixe als Stilmittel und liebt das Obskure, Undurchschaubare, das sich mittlerweile als doch recht berechenbares Outfit erwiesen hat, zumindest für mich als Profi-Regaleinräumer.

Dem Logogebrauch stehst Du wohl eher nicht so freundlich gesinnt gegenüber?

Durch populärwissenschaftliche Veröffentlichungen wird die unterbewußte Erkennung einer Marke mit Hilfe eines Logos, bestimmter, immer gleichbleibender Farbgestaltung und Flächenaufteilung als biopsychologisches Phänomen zum allgemeinen Wissen. Dies nutzen dann flugs alleinstehende Fensterputzer und kreieren auf dem HeimComputer selbst irgendwelches Zeuchs, das sie dann auf die Heckscheibe ihres Kleinwagens aufbügeln. Kurz: Logos sind Massensport und ihre eifrige Erstellung und allgegenwärtiger Einsatz eine Pest, finde ich. Und mittlerweile eigentlich bis auf die ganz großen, jahrzehnte alten Markensymbole recht wirkungslos, da man sich im Werbedschungel von den Logos wegkonzentriert. Gleichzeitig deuten sie durch ihre unveränderliche Darreichungsform auf eine ewig gleichbleibende Qualität des "Produktes" hin, das ich in meiner Musik nicht erkennen kann und will.

Wenn man wie Charakterschutz auf einen Schlag alle Werke projektiert, die derart unterschiedlich in Konzept und musikalischem Inhalt sind, bedeutet das auch einen groben Schlag gegen das Phänomen Imagebildung?

Nur in einem engeren Sinne. Damit meine ich die Schaffung eines Handelszeichens oder eines Logos, das auf einen genau fokussierten musikalischen Bereich zielt. Motörhead zum Beispiel steht für lauten, klassischen Hardrock, Depeche Mode für elaborierte elektronische Depression. Durch die vielen Stile und Konzepte der einzelnen Charakterschutz-Alben ist dies eher hinderlich.  
Ohne corporate image umgehe ich eine geschmacklich-inhaltliche Festlegung, die im Laufe der durchschnittlichen (künstlerischen) Persönlichkeitsentwicklung bei einem Stilwechsel so zum Problem werden kann. Und vermeide auf diese Weise die Sorte Fans, die beim plötzlichen Promoten einer Kinderlieder- CD düpiert sind und das Fanboot verlassen, weil sie Charakterschutz über die Remix-CD in der Disko kennengelernt haben.

... "Fanvermeidung" - also, jetzt wirds wohl richtig arrogant!?

Das klingt nur so. Im Wesentlichen geht es dabei um einen Selbstschutzmechanismus. Schutz vor den Ketten, die aus dem Erfolg mit einem bestimmten Sound oder gar einzelnen Lied werden können. Lieber ein Image aufbauen, das die persönliche Weiterentwicklung und damit verbundene Richtungswechsel miteinschließt. Denn: es gibt sehr wohl Musiker und Bands, deren Attraktivität auch zum großen Teil von ihrer Unberechenbarkeit ausgeht.
Zur Not kann man immer noch nachgeben und mit Anfang Sechzig damit durch Stadtfeste und Vereinsfeiern tingeln, sollten alle Stricke reissen. Diese Art Lebensabendgestaltung würde ich dann nutzen, um das negative, würdelose Bild, das man von solcherart Künstlerexistenz hat, etwas gerade zu rücken.
 
Imagebildung und die gleichzeitige Möglichkeit zur persönlichen Weiterentwicklung- schließt sich das nicht aus!?

Im herkömmlichen Sinne schon, schließlich steht ein Image ja für eine feste Größe, einen verläßlichen Wert oder ne Geschmacksrichtung, auf die man sich beim Kauf verlassen kann. Zum Glück gibt es aber auch Künstler wie David Bowie, Beck Hansen oder Frank Zappa, die diese Wandelbarkeit in ihr Image integrieren, ja zu einer ihrer herausragenden Qualitäten machen konnten. Diesen Effekt strebe ich auch an, schließlich produziere ich ja keine Burgersorte, die in Kanada exakt so schmeckt wie in Venedig.
 
Da fällt mir auch ein sehr offenbarendes Zitat der Gruppe Tool ein, die in nem Interview mal den Satz "Musik ist in erster Linie Kunst und nicht Transportmittel fürs Image" logelassen haben..

Ein sehr deutlicher Hinweis, eigene oder fremde Musik mal ja nicht zu strategisch zu sehen..

Ich würde gar sagen: die Gefahr der durch-Strategie-zum-Erfolg-Methode zu erkennen: wenn das nämlich nicht der Fall ist, findet man sich plötzlich im profanen Lager der Sound-Designer wieder, die "das alles" sehr, ich würde mal sagen, BWL-mäßig durchziehen:
corporate identity als Thema, Zielgruppenanalyse, Trademarkentwicklung, Marktsegmentforschung, akustische Erkennbarkeit als Voraussetzungen, bevor zur "Musikentwicklung", ich sag das jetzt betont technisch, geschritten wird. Der persönliche Stil oder der entstandene, über Zeit gereifte Gruppensound wird plötzlich ins Verhältnis zum Markt gesetzt- ein sehr gefährliches Spiel mit dem kreativen Feuer..

Auch ein Hinweis auf die Vielfalt, mit der Musik aufgefaßt werden kann?

Das klingt sehr versönlich, ist aber sicher nicht so gemeint. Eher ein dringlich-treffender Appell, der genau - wieder mal- die Kluft zwischen Innen und Außen erfaßt. Das Außen, also die Außenwirkung gar splittet in künstlerische Rezeption und marketingkompatible Gebrauch- und Wiedererkennbarkeit. Musik als Mittel oder als Zweck. Damit muß sich bei steigendendem Erfolgsgrad wohl jede Band mit Management herumschlagen, auch wenn da Personalunion vorherrscht. (..)

 
Kenntest Du jetzt Deine eigene Musik (noch) nicht, was hieltest Du als Händler von Deinen Covers beziehungsweise was würdest Du dahinter vermuten?

Coole Frage. Mm. Also, bei Kaspern und Hausern dächte ich sofort an eine Werbebroschüre für eine Umweltorganisation, das Präde-Büh würde ich eher einer populären Wissenschaftszeitschrift biologisch-neurologischer oder neuzeitlich-psychologischer Prägung zuordnen. Die stilisierten Musik-Kassetten auf L-Muskeldetektor und die merkwürdigen Worte oben und unten... sieht wohl nach nem verschrobenen, selbstgebastelten Schlafzimmerwerk aus, das mit dieser Gestaltung auf das Autonome seiner Entstehung pocht. Beim Lesen des Ambjent-Titels würde ich ziemlich sicher schmunzeln, da ich diesen gestreiften Schatten auf den Gräsern halt als Schatten der Spannschnüre eines Fünfzigerjahre-Liegestuhls (er)kenne. Der Rohrwanderer könnte ein Hörbuch einer Dreißiger Jahre Gedicht- oder Prosasammlung sein, ebenso aber spartanische Stummfilmmusik aus dem 21. Jahrhundert, also ein Retrowerk. Diese M.C. Escher-hafte Spiegelungen und Motivwiederholung täten das Übrige, diesen Eindruck zu verstärken. Die Filmmusik würde ich, glaub ich, erraten: ein sehr kühles, ikonenhaftes Bild, genauso wie die Remixe mit Absperrband, Computermaus und klassischer Rechnerschrift aus Segmenten- nah am Techno-Klischee. Sähe für mich auch eher wie die Rückseite einer CD aus.
Völlig obskur blieben mir die Präzisionshuren und die Heute lernen vir chinesisch- CD. Und Engelchen im Blätterteig käme mir wie eine ziemlich melancholische Indie Platte a la R.E.M. vor.

Hier die Übersicht der Werke










 
Bereits ein knappes halbes Jahr nach fulminanten Start erfahre ich schon von Artwork-Änderungen. Was ist davon zu halten? Jetzt habe ich die Erstentwürfe schon in mein Cover-Kennungs-Universum einsortiert. Und soll ich mich unter ästhetischen Schmerzen wieder umgewöhnen? Du weißt hoffentlich, daß damit dem Fantum eine ganze Menge Boden entzogen wird!?

Als Händler weiß ich sehr wohl, daß ein Cover zu ändern gleichzieht mit einem Gesichtsverlust. Im wahrsten Sinne des Wortes. Musik und Cover verbinden sich nach kurzer Zeit aufs Innigste. Bilden eine "Gesamtpersönlichkeit", wie ein liebgewonnenener Freund. Wenn der plötzlich mit zum Beispiel gezupften Augenbrauen, Afrofrisur und verändertem Klamottenstil aufkreuzt, beginnt ja wohl jeder an der Berechenbarkeit des Universums zu zweifeln.
Traurig also für die Fans, aber als Künstler kann man einfach freier atmen, wenn man das Optimum verwirklicht sieht, solange es noch nicht zu spät ist und das Werk schon das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat.
 
Ok, das etwas hingehuschte Remix-Cover wird es wohl wegreißen, aber um den schönen Rasen mit gestreiften Schatten des "Am Bjent" tuts mir echt leid.

Geht mir genauso. Wäre da nicht dieses Mega Cover, das letzte Woche beim Durchgehen des Archivs einfach so "rausgerutscht" ist. Um Längen ätherischer, geheimnisvoller, spaciger, mysteriöser. Ornamental, organisch, ungreifbarer. Viel näher dran an meiner Vorstellung von Ambient. Faszinationstechnisch noch dazu ergänzt durch den Umstand, daß es sich hier um ein sonst völlig unbehandetes Foto handelt, das ich lediglich eingefärbt habe.
Und das ursprüngliche Bild kann man mit dem Trick des Multiplen Wechsel Covers sehr wohl retten und hat als Fan dann zwei zum Wechseln. Die Identität wird dadurch zwar verwässert im klassischen Sinn, doch kann die Geschichte damit in einen neuen, engeren Fankreis geraten. Also Leute, die sich auch die versteckten Versionen merken können.
Und passend zum Konzept dieser Musik, sich mit der Umgebung zu mischen. (grinst. breit.)
 
Als altgedienter Regaleinräumer, wie Du es so sagst, hat man die Weltklasse an Coverdesign jeden Tag vor sich. Wie oder überhaupt wirkt sich diese Erfahrung aufs eigene Werk aus?

Sehr, doch. Wobei ich nicht unbedingt von "Weltklasse" sprechen würde. Bei den Unmassen an grafischen Beispielen bildet sich doch schnell so was wie ne Antenne für Auffällig, und: die solls ja eigentlich immer sein- im Meer der angebotenen "Produkte". Meistens liegt der ästhetische Reiz aber im Durchschnittlichen, oft gar im Stereotypischen und wird dadurch pretty unsichtbar. Nicht schlimm für ebensolche Musik, schade aber für herausragende Scheiben. Die müssen einem dann durch Anhören oder Empfehlung auffallen. Etwas, das eigentlich das Cover erledigen könnte mit dem ersten Anblick. Und wenn dann noch eine wahnsinnige Bestickerung der sowieso schon kleinen CD-Fläche erfolgt, wird alles zu nem bunten Flickerlteppich.

..und das Artwork verliert seinen Reiz, gar seinen Wert?

Würde ich unbesehen bejahen. Pappen wir auf die mickrigen 144 Quadratzentimeter noch ein Preisschild, am besten oben rechts, wo es dann meistens entweder Künstlername oder Gesicht verdeckt- schließlich ist die Platzierung oben rechts das bevorzugte Aufmerksamkeitsfeld, wird also durch "Doppelbelegung" unwirksam gemacht. Wenn dann noch vom Vertrieb, gerne unten links in der Ecke fast ein Viertel der Fläche mit Tourdaten zugepflastert wird, brauchts dann nur noch den mittlerweile obligaten FSK- Aufdruck. Dann nämlich kann man sich den Designer sparen, der ohne diese drei Störenfriede munter entwirft. Für die Tonne...

 
Die Idee für Charakterschutz entstand nach Deinem vierzigsten Geburtstag. Reichlich spät, oder? Die riesige Masse der populären Musik stammt doch von Zwanzig- bis Dreißigjährigen und ist dementsprechend auch mit der Verve und der Leidenschaft dieses Lebensabschnittes gesättigt. So spät zu starten bedeutet doch auch, mit gewissen jugendlichen Facetten, die Anlaß zur klassischen musikalischen Umsetzung geben, bereits abgeschlossen zu haben. Besteht damit nicht irgendwie das Risiko, daß beim Hören von Charakterschutz ein allzu abgeklärter Beigeschmack nicht völlig zu vermeiden ist?

Das ist auch für mich etwas, dessen Ergebnis ich mit großer Spannung erwarte. Wenn man über dreißig Jahre stark mit Musikmachen und -hören beschäftigt war, sind im "normalen" Musikermenschenleben alle Leidenschaften in Musik geflossen, haben dort ihren bleibenden Niederschlag gefunden. Das unbändig Lebenslustige, die tiefste Verzweiflung und Unsicherheiten des frühen Erwachsenwerdens haben sich in Lieder oder Musikstücke verwandelt. Große Illusionen, romantische Gefühle, Zuneigung oder Haß, früher Zynismus, abgrundtiefe Enttäuschung, erste Liebe, alles konnte im besten Falle in große Musik verwandelt werden.
Die Besonderheit in meinem Fall ist, daß es mich nie so gedrängt hat, im großen ehrgeizigen Sinn mich und meine Werke, die nie mehr als Fragmente waren, rigide an die Welt zu puschen. Dazu hab ich zu sehr besagten Stiefel zusammengelebt, zu oft verwandte Gebiete erforscht, war zu wenig auf konkrete Ergebnisse fokussiert.
Charakterschutz nun entsteht aus so etwas wie einem Drang zum persönlichen Vermächtnis, denn es würde mich sehr schmerzen, mit all dieser Erfahrung nicht zu Werke zu schreiten und ausuzprobieren, ob da nicht was ganz Dolles entsteht. Wie der Drang, Erfahrung weiterzugeben. Gerne in Form von Musik. Zumal auch die Herangehensweise einzigartig ist.
 
Gibt es da einen Plan, welche Art der Energie- jugendlicher Schwung oder abgeklärte Altersweisheit hier zum Zuge kommen soll?

Mit 40 finde ich mich in der Mitte des Lebens und spüre einen direkten Bezug zu beiden Polen- Jugend und Alter- der menschlichen Existenz. Die Erfahrung zu bündeln und Erinnerung an Vergangenes und ruhiges Vertrauen in die Zukunft in Musik fließen zu lassen birgt eine große Faszination für mich.
 
Werden dabei, was die Nostalgie, das in die Vergangenheit Gewandte betrifft, schlicht alte Ideen aus jugendlicher Zeit unter Aufsicht erworbener Erfahrung hier selbstverliebt verwurstet wie ein "rechtzeitig" eingemachtes Lebenselixier?

Nicht im wörtlichen Sinne. Gut, ich schleppe da schon Einiges an Selbsteingemachtem mit mir durchs Leben. In Form von DAT- oder den guten alten MusiCassetten gibts da schon Material, doch irgendwie käme es einem Archivar- oder Archäologie-Job nahe, diese Masse an Schnipsel zu einer konkreten CD-Sammlung zusammenzufügen.
Wäre ein Haufen Krümelarbeit und brächte sicher ganz interessante Ergebnisse, aber: in mir steckt das doch irgendwie alles noch, auch das jugendliche Gefühl, und so ausgerüstet finde ich es ungleich reizvoller, vom Punkt Jetzt zu starten, was musikalische Fabrikation angeht. Charakterschutz geht ja auch einen ganz anderen Weg, schlägt eine absurd erscheinende anachronistische Richtung ein, um zum Ziel zu kommen. Die Verwendung von alten Songideen ist genau das Prinzip, das ich mit Charakterschutz vermeide.
  
Danke für dieses doch sehr ausführliche Interview, el Berndo! Wir haben da ja die ausgenommen sletene Ehre, mit Dir zu Interviewpotte zu kommen. Ansonsten hälst Du Dich ja sehr bedeckt- Geheimniskrämerei? Medienscheu? An fehlender Beredsamkeit kann es wohl kaum liegen??

Eher der reine Energiespargedanke (lacht). Immer dieselben, braven, schüler- oder boshaft gezückten Hirne aus deutschen Landen serviert zu bekommen, immer denselben humorlos-bierernsten Fragen über den Weg zu laufen, diesen unablässig angeforderten Selbstbeschreibungen, Selbstverortungen und Reiseführerportfolios für die eigene Person!
Solch dreiste Zeitverschwendung macht mich müde. Musik muß nicht erklärt werden wie abstrakte Gemälde, verbreitet sich mit etwas Beihilfe sowieso selber heutzutage und geht direkt ins Blut. Interviews, die ans Eingemachte gehen, an die Beweggründe, Inspirationstechniken, Lebenseinstellungen oder intelligente Beleuchtungen des (Musiker)lebens - gibt es viel zu wenig. Ich für meine Person spüre da beim Lesen immer eine wohldosierte Distanz zum Thema, das Gefällige darf im heutigen Journalismaus nie verlassen werden, alles soll schön glatt einer bloßen Ansammlung von Buchstaben ähneln, die auf dem Bildschirm oder den Printmedien Platz in Rechnung stellen lassen. Außerdem: diese übertrieben wichtige Rolle als Mediator der Journalisten find ich ganz schön eingebildet. Die mediale Sintflut, Blogs, myspace und Webradios, demontiert das ganz schön, macht dieses historische Allmachtsgefühl fehl am Platz.

Die meisten Interviews, die ich lese, klingen immer nach Arbeitsplatzsicherung der schreibenden Zunft. Ja ja, ich weiß: Veröffentlichen bedeutet im Internetzeitalter, wo jeder jederzeit auf alles Zugriff hat ja immerhin auch Einiges, obwohl es auch für Privatpersonen plus Internetzugang allgegenwärtig und sintflutartig möglich ist. Trotzdem gibt es da natürlich massiv rechtliche Fallstricke, das sehe ich schon. Aber anscheinend müssen da zuviele Hindernisse berücksichtigt werden, zuviele unter der Oberfläche liegende Klippen umschifft.
Daß dafür anscheinend aber die aufregenden Stories, Geschichten, die mich weiterbringen, mir neue, unbekannte Seiten des Lebens offenbaren auf der Strecke bleiben müssen, finde ich extrem entwertend.
Und schließlich: Erschöpfung als Preis für Promo und Werbung, da ist mir der Preis zu hoch, stopft das Gehirn zu und lähmt den Tatendrang.
Am besten finde ich da die Fragen, die mit "Ein Kritiker hat mal geschrieben, Ihre CD sei" beginnen. Das ist schon die hohe Kunst der Zweitverwertung. Zwei Menschen unterhalten sich darüber, was Dritte zum Werk des Einen meinen. Ich plädiere da für eine weitere Abstrahierung: sich nur noch über Pressestimmendiskussionen zu unterhalten und das dann zu veröffentlichen.