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der Schwarzwald bekommt eine Postkarte

Nicht, daß ich das Leben mit frischer Luft je irgendwie unpassend gefunden hätte; es zog mich Landei aber mit zunehmendem Alter immer mehr in die Stadt. Trotzdem schätze ich ab und zu eine Fahrt mit der Eisenbahn durch Tunnels, über Viadukte inmitten einer wettergebeutelten, zum Teil schroff-felsigen Natur sehr. Und habe schon immer meine Kamera auf die vielfältigen Phänomene dieser Gegend zu richten geliebt. Aus dieser Zeit weiß ich auch, und das schon viel früher als ich es mit Stadtmotiven entdeckte, um das auch hier lauernde Klischeefallentier.

Nichtsdestotrotz kann man seinem -im Gegensatz zu Klischees- lebendigen Gefühl folgen und entdecken, welche Motive einen ansprechen, welche Anblicke Faszination auszulösen vermögen. Und irgendwann mußte es ja auch so kommen: nach einem Vierteljahrhundert Leben in der Stadt gelingt bei einem Trip in die “erste” Heimat, dem Nördlichen Schwarzwald, (nicht nur) diese Aufnahme: Zarte Farben und sanfte Übergänge, das Fehlen eines Hauptgegenstandes. Stattdessen: musterhafte Schichtungen, ein Gefühl der Weite, Entrücktheit, gar: Himmelsnähe. Das Wetter spielt(e) hier noch mehr die Hauptrolle als bei den Stadtmotiven. Und, sehr befreiend nach all der ununterbrochenen Stadtleberei: ein fast völliges Fehlenlassenkönnen zivilisatorischer Spuren, eine wahre Wohltat für mein fotografisch manchmal auf Urbanes allzu festgefressenes Auge.

An diesem Bild schätze ich, daß nach all den Bildern von Mannheim und Ludwigshafen, auf denen ich immer bemüht war, Stadt-typisches unterzubringen, es jetzt beim neuen Thema Schwarzwald um reine Naturerscheinungen gehen darf, deren Lokalisierbarkeit, dessen Zuordnungspotenzial weiter gefaßt sein darf. Es zählt weniger das einzelne, klar erkennbare Landmark, eher liegt die Betonung auf dem Wesen der Gegend als solche, das ins Bild gesetzte Gefühl, das diese auslösen kann. Nach dem kleinen Ausflug in die Landschaftsfotografie, der letzten Sommer mit dem ersten Motiv der achten Mannheim Serie seinen Niederschlag als Postkarte fand, geriet diese Art der der Malerei des 18. Jahrhunderts verwandten Darstellung von Natur in das Gesichtsfeld meines fotografischen Interesses. Und ich fragte mich, ob ein Ähnliches wieder gelingen könnte.

Es gelang. Rund tausend Meter über Normalnull an einem galaktisch zu nennenden Novembernachmittag noch über der Schwarzwaldhochstrasse. Jetzt bleibt abzuwarten, entsprechende Promo-Bewegungen zur Bekanntheitsgewinnung vorausgesetzt, ob sich vorort jemand finden läßt, dem diese Aufnahme(n) ein willkommenes Neues sein können. Das Internet und der klassische Postweg könnten es möglich machen- ich bin schon sehr gespannt. Ein neues Kapitel ist somit aufgeschlagen- tja: so weit wirkt das Zustandekommen eines einzelnen Bildes.

Und ich finde mich damit wieder in einer neuen, emotional durchwachsenen Situation zwischen fotografisch-kreativen Ansporn, dem Ruf der Herausforderung der anschließenden Distribution, so etwas wie Prüfungsangst und, oh Wunder- der Findung zweier neuer völlig anders gelagerter, befreiender Themen: Dreht es sich nämlich um a) die Entdeckung des Spiegelbildes des gegenüberliegenden Ausblickes in der S Bahn, ein fotografisches Action Painting Abenteuer der eben nur schier unvorhersagbaren Art und b) um ein schon sich langsam abzeichnendes neues faszinierendes Fotothema: Makroaufzeichnungen innerstädtischer Architektur und Städtebaus.

Details des zeitgenössischen Gestaltens der unmittelbaren Lebensumgebung, direkt vor und mit der eigenen Haustür. Gefühlt eine Mission zwischen den Bilderserien der Bechers und dem Bildband von Jan Weiler und Rainer Sülflow. Bei dieser Kombination aus Pflicht und Kür fällt mir das Zustandekommen eines meiner Lieblingsfilme ein, des wunderbaren “Chungking Express´” von Wong Kar-Wai, der ursprünglich als befreiende “Pausengestaltung” inmitten des wahrhaft martialischen Monumentalwerkes Ashes Of Time mehr oder weniger improvisiert wurde. Und wahrscheinlich genau durch diese komplementäre Art der Kreation seine unvergleichliche Leichtigkeit gewann.

Wie indes diese frisch begonnene Wiederaufnahme der Naturfotografiererei weitergeht- ich weiß es nicht. Und bin selbst gespannt. Vergangenes Wochenende bei Tiefsttemperaturen auf Glitzerschnee gelangen vor Ort weitere, schon beim Aufnehmen faszinierende Bilder, die noch zu entwickeln und postkardial zu gewichten sind. Ob da die Farbübergänge im Bokeh von Makroaufnahmen der Flora als Entscheidungskriterium überwiegen oder ob es eine Rückkehr zu den Wahrzeichen-im-umgenähten-Gewand geben wird- wir werden es sehen. So bleibt mir vorerst keine schnelle Antwort auf die jüngst an mich gerichtete Frage, die ich eher als Ermutigung sehe denn als Anforderung einer Selbstverortung: “Bist Du jetzt Landschaftsmaler?”

__________________________________________________________________________ Musik beim Schreiben heute:

Daniel Stelter: “Homebrew Songs” 2009, Herzog Records

Daniel Stelter: “Krikel Krakel” 2012, Herzog Records

various artists: “Pulp Fusion- Return To The Tough Side” 1998 Harmless Recordings